Mein Freund und Kollege Peter Jakob Klein ist tot
„Als wenn mir dat nit künnte!“ – Wenn ein Satz meinen Freund und Kollegen Peter Jakob Klein charakterisierte, dann war es dieser. Er setzte ihn häufig und treffsicher ein. Seit ich die Formulierung im Frühsommer 1984 erstmals von ihm gehört hatte, benutzte ich sie selbst immer dann, wenn es darum ging, bestimmte Dinge, so schwierig sie auch erscheinen mochten, motiviert anzupacken, aber auch als Bestätigung, wenn etwas gelungen war. Denn so habe ich Peter kennengelernt und geschätzt: Er wich Problemen nicht aus, sondern sah seine Aufgabe darin, sie zu überwinden. Dabei setzte er sich auch für andere ein und schreckte nicht vor Konflikten mit Andersdenkenden und -handelnden und den daraus resultierenden Konsequenzen zurück.
Nun liegen die nicht einmal anderthalb Jahre, in denen wir in der Lokalredaktion des „Kölner Stadt-Anzeigers“ für den Kreis Euskirchen zusammengearbeitet haben und Freunde wurden, schon deutlich mehr als drei Jahrzehnte zurück. Doch auch danach blieben wir in beiderlei Hinsicht verbunden. Wir tauschten uns ausführlich aus und arbeiteten auch bei dem ein oder anderen Projekt zusammen. Unser Verhältnis zueinander war fortan eines, das gar nicht ständigen Kontakt erforderte, mir aber jederzeit die Gewissheit gab, in Peter nicht „nur“ einen Freund im Geiste zu haben, sondern jemanden, auf den ich auch in ganz realen Situationen zählen konnte.
Schon bei unserer ersten Begegnung im Frühjahr 1984 in der Redaktion hatte ich das sichere Gefühl, dass die Chemie zwischen uns stimmte. „Du fängst hier demnächst an? Herzlich willkommen!“, sagte er und fügte, während er mir die Hand reichte, hinzu: „Isch bin der Pitter.“
In der Folgezeit stellten wir schnell viele menschliche, politische und journalistische Übereinstimmungen fest und es entstand eine Freundschaft, bald auch zu Peters Familie. Manchmal kamen seine Frau Ille und Tochter Helena, wenn sie gemeinsam etwas in der Innenstadt von Euskirchen zu erledigen hatten, zu einem Kurzbesuch in die Redaktion. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie schnell die stets fröhlich und witzig gestimmte damals gerade einmal neunjährige Helena dies auf die Anwesenden übertrug. Sie hatte sich hinsichtlich des Mundwerks offenbar einiges von ihrem Vater abgeschaut, was ich sehr erfrischend fand.
Die Freundschaft zu Peter und seiner Familie wurde darüber hinaus bald schon aus einem weiteren – ernsthaften – Grund sehr wertvoll: Zwischen dem designierten Chef der Lokalredaktion und mir knirschte es aus einer Reihe von Gründen von Beginn an heftig mit Tendenz zur Eskalation. Außerdem fühlte ich mich, obwohl meine eigentliche Heimatstadt Frechen gerade einmal gut 30 Kilometer entfernt lag, in meinem neuen Wohnort ein bisschen wie ein Fremder, durchaus auch etwas einsam. – Hätte ich da die Familie Klein nicht gehabt! Ihr Haus am Euskirchener Stadtrand war in stürmischen Zeiten so etwas wie ein immer offener, sicherer Hafen für mich. Für das gute Gefühl, das mir das damals gab, werde ich immer dankbar sein.
Ein gemaltes Bild, das Peter in seiner Kellerbar aufgehängt hatte, zeigte ein Blockhaus inmitten einer nächtlichen Schneelandschaft in den Rocky Mountains, durch dessen Fenster warmes Licht nach draußen drang. Darunter stand: „The Ornaments of our House are the Friends that frequent it.” („Die Zierde unseres Hauses sind die Freunde, die es besuchen.”) Genauso empfand ich es, wenn ich Peter und seine Familie besuchte: bei guten Freunden willkommen zu sein.
Überhaupt die Kellerbar… Da Peter ein Faible für Nordamerika hatte und während seiner achtjährigen Bundeswehrzeit – er war Oberleutnant der Reserve – irgendwie Ehrenbürger von El Paso geworden war, hatte er sie im Stil eines Western-Saloons eingerichtet. Dort erschien sogar eine eigene Zeitung, der „Peters Private Bar Chronicle“. Das Blatt war so professionell gemacht, dass Peter trotz der überschaubaren Auflage von einem Exemplar bei einem großen US-Konzern einmal einen Anzeigenauftrag im Wert von 35 Dollar ergattern konnte.
Mit Peter konnte man herrlich Spaß haben. Während wir beide bei den mittäglichen Skatrunden in der „Stadt-Anzeiger“-Redaktion mit von der Partie waren, so fand unsere private Pokerrunde, bestehend aus vier Kollegen, oftmals in „Peters Private Bar“ statt. Stilecht trugen wir dabei Westernhüte und Colt-Repliken lagen auf dem Tisch. Einen der original amerikanischen Hüte schenkte Peter mir einmal. Ich habe ihn schon immer in Ehren gehalten, aber nun ist er natürlich ein ganz besonderes Erinnerungsstück.
Peters unnachahmliche Situationskomik lässt sich wunderbar anhand folgender Begebenheit beschreiben: Da Peter ein hervorragender Koch war, gab es bei diesen Zusammenkünften immer tolle Gerichte. Einmal fand unser Pokerabend bei mir statt. Während wir anderen schon am Spieltisch saßen, machte Peter sich noch in meiner Küche nützlich. Plötzlich hörten wir von dort lautes Poltern und Klirren. Es musste Scherben gegeben haben. Noch bevor jemand nachschauen konnte, was passiert war, stand Peter vor uns und sagte trocken: „Isch maach der Kühlschrank up, do kütt mir en Fläsch Bier entjäje. ‚Wo willste hin?‘, froch isch. ‚Paaf!‘ sät se.“
Besondere und berührende Stunden verbrachten wir an einem Tag anno 1985 miteinander. Peter war vormittags nicht in der Redaktion gewesen. Gegen Mittag kam er in euphorischer Stimmung herein, hielt eine Filmpatrone hoch und wiederholte mehrmals: „Das ist er drauf!“ Kurze Zeit zuvor war Peter in einer Klinik am Bonner Venusberg bei der Geburt seines Sohnes Sebastian dabei gewesen und hatte die ersten Fotos von dem Jungen gemacht. Wir verschwanden gemeinsam in der Dunkelkammer, entwickelten den Film und machten erste Vergrößerungen. Peter hatte dabei und als er mir von dem freudigen Ereignis erzählte, feuchte Augen.
Da Peter damals aufgrund eines Unfalltraumas nicht selbst Auto fuhr, wollten wir am späten Nachmittag gemeinsam seine Frau Ille und den neuen Erdenbürger besuchen. Zuvor musste ich auf einem Umweg noch etwas in Brühl erledigen. Als wir dort in einem Lebensmittelmarkt noch Pralinen für Ille besorgen wollten, beschimpfte uns ein Mann, der an der Kasse hinter uns in der Reihe stand, aus unerfindlichen Gründen. Das perlte noch an uns ab. Als wir bezahlt hatten und gerade gehen wollten, pöbelte er auch die Kassiererin derart an, dass der Frau eine gewisse Angst anzusehen war. Peter und ich schauten uns kurz an und griffen ein. Wir packten uns den Kerl und begleiteten ihn auf unmissverständliche Art vor die Tür. Erst als wir sicher waren, dass er wirklich verschwunden war, gaben wir der sichtbar erleichterten und dankbaren Frau Entwarnung. An einem ansonsten so positiven und Tag wollten wir die zuvor eingeschüchterte Frau an unserer guten und lebensbejahenden Stimmung teilhaben lassen. Der Rest des Tages war dann wieder ausgesprochen harmonisch. Nach dem Besuch von Mutter Ille und Sohn Sebastian in der Klinik stießen Peter und ich, zurück in Euskirchen, noch gebührend auf den denkwürdigen Tag an.
In dieser Zeit hatten wir beide ebenfalls in Bonn einen besonderen journalistischen Einsatz. Tatsächlich waren Peter als Texter und ich als Fotograf beim letzten Empfang, den der damalige Bundespräsident Karl Carstens an einem herrlichen Sommertag kurz vor dem Ende seiner Amtszeit im Park der Villa Hammerschmidt gab, dabei. Er galt einer Gruppe jüdischer Israelis, die das Nazi-Regime nur äußerst knapp überlebt hatten und nun, nach 40 Jahren, anlässlich der Enthüllung eines Gedenksteines in Euskirchen-Kuchenheim erstmals wieder deutschen Boden betreten hatten. Während wir uns mit einigen anderen Besuchern unterhielten, ging der Herr Präsident herum und begrüßte jeden seiner Gäste persönlich. Als er zu uns kam, fragte einer aus der Runde ihn, was er denn demnächst in seiner Freizeit vorhabe. Carstens antwortete, es sei ja bekannt, dass er gern mit seiner Frau wandere. Das werde er künftig vermehrt tun. Und passend dazu wolle er als neues Hobby mit der Fotografie beginnen. Dann fügte er mit Blick auf meine „Nikon“ hinzu, dass er sich aber anders als wir Pressefotografen, die ja vornehmlich japanische Kameras bevorzugten, für ein deutsches Modell entschieden habe. „Es wird“, so der Präsident wörtlich, „eine Kodak sein.“ Peter und ich wandten uns unvermittelt ab, um aufgrund des ernsthaften Anlasses des Empfanges nicht unangemessen loszuprusten. Denn selbstverständlich produzierte die US-Firma Kodak keine deutschen Fotoapparate. Nachdem Peter und ich den riesigen Garten der Präsidentenresidenz verlassen hatten und zu meinem Auto gingen, amüsierten wir uns köstlich über den unbeabsichtigten präsidialen Kalauer.
Grundsätzlich schätzte ich an Peter besonders seine Kombination aus wunderbarem Humor, scharfem analytischen Verstand und tiefgründiger Nachdenklichkeit. Dabei war er Demokrat durch und durch und ein unerschütterlicher Humanist.
Das alles schien unseren damaligen Chef in spe nicht zu beeindrucken. Als ich eines Morgens die Redaktion betrat, schallte es mir quasi entgegen: „Er hat den Peter rausgeschmissen. Fristlos.“ Die anwesenden Kollegen und ich waren fassungslos, doch an dem Entschluss war nicht zu rütteln. Peter, der wie ich damals auch, Mitglied der SPD war und ein paar Jahre vor unserem Kennenlernen Mitglied des Euskirchener Stadtrates gewesen war, wurde eine Parteiaktivität, die angeblich mit seiner journalistischen Neutralitätspflicht nicht vereinbar war, vorgeworfen. Dabei wusste ich von einigen ganz ähnlich gelagerten Fällen angestellter Kollegen und sogar höhergestellter Vorgesetzter, bei denen beide Augen zugedrückt worden waren. Doch Peter war freier Mitarbeiter, mit dem man es als Alibi-Beispiel ja machen konnte. Mein Verhältnis zur Redaktions- und Verlagsleitung in ihrer damaligen Konstellation erlitt dadurch einen weiteren, heftigen Knacks.
Die freundschaftliche und kollegiale Verbundenheit zu Peter blieb indessen von diesem Einschnitt völlig unberührt. Einige Monate später folgte ich ihm – freiwillig – nach, verließ zum Jahresende 1985 den „Kölner Stadt-Anzeiger“ und zog zurück nach Frechen.
Während ich an meinen ersten Büchern schrieb und als sogenannter politischer Lobbyworker und in der Öffentlichkeitsarbeit für die Umweltorganisation Greenpeace arbeitete, verdingte Peter sich eine Zeit lang bei der Gewerkschaftspresse, bevor es ihm gelang, sich als Regionalkorrespondent für die Vor- und Nordeifel beim Westdeutschen Rundfunk zu etablieren. Wie oft habe ich viele Jahre lang immer dann die Ohren besonders gespitzt, wenn ich den Namen Peter Jakob Klein oder seine Stimme im Radio hörte. Es lohnte sich, dann genauer hinzuhören.
Schon früh in dieser Zeit kam es zu einer Hörfunk-Zusammenarbeit zwischen uns. Mein „Greenpeace-Report“ mit dem Titel „Stoppt die Atomtests!“ war gerade frisch erschienen, als Peter mich dazu interviewte – in seiner Saloon-Bar übrigens. Er baute daraus einen wunderbaren Beitrag über mein Buch, das er darin sogar für den Oberstufen-Politik- und Geschichtsunterricht empfahl, denn schließlich lief die „Sachbuchecke“ im WDR-Schulfunk. Das nutzte mein lieber Kollege, um mich dessen Leiter selbst als Rezensenten zu empfehlen, woraufhin ich – dank Peter – in den folgenden Jahren zahlreiche Buchbesprechungen auf diesem Sendeplatz veröffentlichte.
Noch ein weiteres Mal arbeiteten wir zum Thema Atomwaffen, in diesem Fall auch mit Peters Frau Ille, die Lehrerin an einer Hürther Hauptschule war, zusammen. Nachdem Ille ihre Schüler auf das Thema vorbereitet hatte, begaben wir uns gemeinsam mit einer Gruppe der Teenager auf die Billiger Höhe bei Euskirchen. Dort waren bis in die späten achtziger Jahre hinein mit Atomsprengköpfen bestückte Nike-Hercules-Raketen stationiert gewesen. In einer Hütte nahe des ehedem schwer bewachten Arreals las ich den Schülern Passagen aus meinen Büchern über den Kalten Krieg vor und berichtete ihnen von meiner Arbeit bei Greenpeace, was Peter mit Erlebnissen und Erfahrungen aus seiner Bundeswehr-Zeit ergänzte. Anschließend gingen wir Erwachsenen auf Fragen ein und diskutierten das Thema mit ihnen. Die jungen Leute waren einerseits sichtlich betroffen von der Fähigkeit der Menschheit, sich selbst in die Luft zu jagen, aber auch einhellig der Meinung, dass es so nicht weitergehen könne und die Welt friedlicher werden und abrüsten müsse. So hatten Ille, Peter und ich in einer außergewöhnlichen Kooperation den Schülern eine Veranstaltung geboten, die nachhaltig gewirkt haben dürfte.
In vielen weiteren politischen Zusammenhängen waren unsere Ansichten nahezu deckungsgleich. Das zeigte sich bei unseren später leider viel zu seltenen Treffen ebenso wie während unserer traditionellen ausführlichen Geburtstagstelefonate, bei denen Peter mich immer mit „Hey Alter“ begrüßte.
Ich erinnere mich noch gut daran, wie richtig er damals die weltpolitischen Auswirkungen des Terroranschlags auf das New Yorker World Trade Center an Nine Eleven 2001 voraussagte. Später passte bei unseren Beurteilungen der mehr als rechtspopulistischen AfD kein Blatt zwischen uns. Und wir teilten unser Unverständnis darüber, was zwischenzeitlich aus unserer einst gemeinsamen Partei SPD geworden war. Unsere Einschätzungen, welche Möglichkeiten das jüngste Bundestagswahlergebnis im September 2021 bieten könnte, haben wir noch wenige Tage später anlässlich Peters Geburtstag ausgetauscht.
Zudem liebten wir – ganz unpolitisch – unsere jeweiligen Hunde, genossen gerne mal eine gute Zigarre und teilten auch unseren Musikgeschmack. Beinahe hätten wir vor einigen Jahren gemeinsam einen Film über ein Musikthema für den WDR gemacht. Ich hatte gute Beziehungen zu den Mitgliedern der berühmten Band „Can“, deren legendäres Studio aus einem alten Kino in Weilerswist eins zu eins in das von Udo Lindenberg initiierte Rock and Pop-Museum im niederrheinischen Gronau umzog. Peter war ebenfalls gut im Thema drin, der „Can“-Tontechniker René Tinner unterstützte uns und der bekannte WDR-Moderator Roger Hand fand es ein tolles Thema. Peter und ich hatten bereits mit den Recherchen und sogar den Dreharbeiten für einen Teaser begonnen, als Roger Hand uns wissen ließ, dass er das Thema leider nicht am zuständigen jungen Musikredakteur, dem der Bandname „Can“ nichts sagte, vorbeibekäme. Es war ärgerlich, wie behördenähnlich sich der WDR mitunter verhalten konnte, aber die begonnene Zusammenarbeit mit Peter hatte wieder einmal großen Spaß gemacht.
Sehr gefreut hat mich auch, wie herzlich Ille und Peter schon ab dem ersten Treffen mit meiner Lebensgefährtin Elisabeth umgingen. Die beiden hatten bei der Silvesterfeier 1986 in „Peter‘s Private Bar“, zu der ich noch ohne Begleitung erschienen war, mitbekommen, dass mich etwas beschäftigte. Ich berichtete ihnen dann, dass es am Nachmittag zwischen Elisabeth, die sie da noch nicht kannten, und mir endgültig gefunkt hatte. Natürlich stießen wir darauf in Abwesenheit von Elisabeth, die ebenfalls noch separat zu einer anderen Feier eingeladen war, gebührend an.
Mit Peter hatte ich an seinem letzten Geburtstag besprochen, dass wir für das neue Jahr auf jeden Fall ein Wiedersehen planen würden. Zwar hatte Peter mir von seinem gesundheitlichen Problem erzählt, hörte sich aber zuversichtlich und positiv kämpferisch an. Leider kam es bei einer Operation, die seine Atemnot lindern oder gar beseitigen sollte, zu Komplikationen, die letztlich zu einem Multiorganversagen führten. Peter, geboren am 1. Oktober 1948, starb am 29. Januar 2022 im Beisein seiner Familie im Krankenhaus Köln-Merheim.
So traurig ich darüber bin, so glücklich kann ich mich schätzen, lieber Peter, dass ich in Dir einen Freund und vertrauten Kollegen hatte, der mir auch weiterhin in so mancher Situation Motivation sein wird. Weil ich nämlich immer dann, wenn es etwas anzupacken und zu vollbringen gilt, an Dich und Deine Worte denken werde: „Als wenn mir dat nit künnte!“ So wirst Du mich als Freund und Kollege auch in Zukunft begleiten. Versprochen, Alter!