Aufgebrachte Bauern wollten Fähre mit Minister Habeck an Bord stürmen

Aufgebrachte Bauern wollten Fähre mit Minister Habeck an Bord stürmen

Unangemeldete Aktion im Hafen von Schlüttsiel trifft auf breite Ablehnung – Nur Alice Weidel und Sahra Wagenknecht kritisieren Robert Habeck

Aufgebrachte Bauern versuchen, die Fähre „Hilligenlei“ mit Minister Habeck an Bord zu stürmen.

Eigentlich wollte Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck im Hafen des schleswig-holsteinischen Schlüttsiel von Bord der Fähre „Hilligenlei“ gehen, mit der er von einem privaten Termin auf der Hallig Hooge zurückgekommen war. Doch bald darauf befand er sich wieder auf Hooge. Eine deutlich dreistellige Zahl aufgebrachter Bauern, unter die sich laut schleswig-holsteinischem Verfassungsschutz Rechtsradikale gemischt hatten, die Habeck in Schlüttsiel zur Rede stellen und später sogar das Schiff stürmen wollten, waren der Grund dafür. Kurze Zeit zuvor hatte Bauernpräsident Joachim Rukwied Proteste angekündigt, die das Land noch nicht erlebt“ habe. Von dem Auflauern des Ministers distanzierte es sich im Namen seines Verbandes später jedoch.

Aufgrund der aktuellen Sicherheitslage verließ Habeck das Schiff im Hafen nicht, bot den Protestierenden aber an, eine Abordnung von ihnen zum Gespräch an Bord zu empfangen. Als das von der Menge auf dem Steg empört abgelehnt wurde und eine Gruppe von 25 bis 30 Personen versuchte, an Bord zu gelangen, legte die Fähre in Absprache mit dem Kapitän, dem Sicherheitspersonal an Bord und der Polizei an Land wieder ab und fuhr auf die Nordsee hinaus, später wieder ganz zurück bis zur Hallig Hooge. Erst nach Mitternacht konnte der Minister in Flensburg unbehelligt von Bord gehen.

Die Protestler hatten sich ausgerechnet an dem Tag, an dem die Bundesregierung den Bauern schon weit entgegengekommen war, offenkundig über Telegram-Gruppen verabredet. 30 Polizisten, die auch Pefferspray einsetzten, waren im Einsatz. Verletzt worden war bei dem Tumult niemand. Laut der Wyker Dampfschifffahrts-Reederei (W.D.R.), die auch die „Hilligenlei“ betreibt, seit die Demonstration ungenehmigt und kein verantwortlicher Organisator zu ermitteln gewesen. Nachdem die Fähre gegen 17 Uhr in Schlüttsiel angekommen war, konnte die Demonstration bis 19 Uhr aufgelöst werden. Die Staatsanwaltschaft Flensburg leitete eine Ermittlungsverfahren wegen Nötigung, Landfriedensbruch und Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte ein.

Die Reaktionen aus der Politik ließen nicht lange auf sich warten. Der Sprecher der Bunesregierung, Steffen Hebestreit, beklagte auf X die „Verrohung der politischen Sitten“ und fand dies „beschämend“. Bundesjustizminister Marco Buschmann beklagte eine Diskriminierung „der Anliegen vieler Landwirte, die friedlich demonstrieren.“ Die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion Britta Haßelmann fand das Verhalten der Protestler in Schlüttsiel „erschreckend“ und „eine völlige Grenzüberschreitung“. Auch Außenministerin Annalena Baerbock und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir verliehen ihrer Abscheu vor solchen Protestmethoden Ausdruck. Bundesumweltministerin Steffi Lemke betonte, dass sie just am selben Tag in den Hochwassergebieten noch Solidarität, Zusammenhalt und Zusammenarbeit und Respekt erlebt habe. Das Geschehen in Schlüttsiel sei das glatte Gegenteil davon. Der ehemalige CDU-Generalsekretär Paul Zimiak sprach von einer „Grenzüberschreitung“ und sagte: „Wer die Ampel inhaltlich laut kritisiert, darf jetzt nicht schweigen. Das geht so nicht.“ Auch die christdemokratischen Ministerpräsidenten Daniel Günther (Schleswig-Holstein) und Hendrik Wüst (Nordrhein-Westfalen) sprachen von „Grenzüberschreitungen“, die, so Wüst, „absolut inakzeptabel“ seien.

Minister Robert Habeck selbst unterstrich, dass er sich Sorge darum mache, „was die Stimmung im Land so aufheizt.“ Das Recht z u demonstrieren sei ein „hohes Gut, doch Nötigung nd Gewalt zerstören dies.“ Das hielt die AfD-Co-Vorsitzende Alice Weidel nicht davon ab, Habeck entgegen des wahren Geschehens im Hafen von Schlüttsiel zu kritisieren: „Statt den Dialog zu suchen, begeht er Fährenflucht.“ Und die Bundestagsabgeordnete und künftige Co-Vorsitzende der Partei Bewegung Sahra Wagenknecht (BSW), Sahra Wagenknecht, hielt Habecks Reaktion für „weinerlich“.

Die Rückreise von der Hallig Hooge ans schleswig-holsteinische Festland geriet für Bundeswirtschaftminister Robert Habeck zur Odysee.

Die W.D.R. sprach von einer „Nötigung von Schiff, Besatzung und Passagieren“ sowie einer „erheblichen Störung der Insel- und Halligversorgung“.  W.D.R.-Chef Axel Meynköhn wies darauf hin, dass außer Minister Habeck und weiteren 30 Fahrgästen auch ein Lkw auf die Fähre zurückgemusst hätte. „Die Erstürmung des Schiffes“, so Meynköhn, „konnte nur knapp verhindert werden.“

Eine Familie, die sich mit 80-jährigen Großvater an Bord der Fähre befunden hatte, berichtete laut SPIEGEL der Nachrichtenagentur dpa: „Die Kinder haben Angst bekommen und es war wirklich unheimlich.“ An Minister Habeck gerichtet hätten die Demonstranten gerufen: „Komm‘ raus, Du Feigling.“ Auf einem Schild sei auch ein Galgen zu sehen gewesen.

Die Proteste der Bauernschaft richten sich gegen den Plan der Bundesregierung, im Zuge ihres strengen Sparkurses den Bauern zwei Privilegien zu streichen: die Befreiung landwirtschaftlicher Maschinen von der Kraftfahrzeugsteuer und die Beendigung der Subvention von Agrardiesel. Inzwischen hat die Regierung jedoch Abstand davon genommen, dass künftig auch auf landwirtschaftliche Fahrzeuge Steuern zu erheben, während die Zurücknahme der Subvention von Agrardiesel nur noch schrittweise erfolgen soll. Doch das reicht dem Bauernverband, der eine vollständige Streichung der Pläne fordert, nicht. Kritiker des Bauernverbandes haben vorgerechnet, dass die Umsetzug der ursprünglich geplanten Maßnahmen gerade kleinere Betriebe nur in geringem Ausmaß treffen würde, während deren zuletzt gstiegenen Gewinne bis zur Hälfte aus Subventionen bestünden.

Der Fähr- und Yachthafen von Schlüttsiel in Schleswig-Holstein.

Anmerkung vom 12. Januar 2024: In späterer Berichterstattung hieß es, einen Versuch, das Schiff zu stürmen, habe es nach Überprüfung doch nicht gegeben. Videoaufnahmen von der Belagerung der Fähre zeigen mindestens einen Versuch der Stürmung jedoch eindeutig, weshalb AUSSICHTEN bei seiner Darstellung bleibt

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