Ich werde diese „WM der Schande“ boykottieren
Transparent in einer Kölner Kneipe.
Fans von Borussia Dortmund verleihen ihrem Unmut über die WM-Ausrichtung in Katar Ausdruck…
… ebenso wie Fans von Hertha BSC Berlin.
Der „Sündenfall des Weltfußballs“
Ein Boykottaufruf von Jürgen Streich
Als „WM der Schande“ und „Sündenfall des Weltfußballs“ bezeichnete der Redakteur Lukas Matzinger die Fußballweltmeisterschaft 2022 in Katar in einem Artikel in der österreichischen Wochenzeitschrift „Falter“. Sein Chefredakteur Florian Klenk begründete wenige Tage später, weshalb sein Blatt keine Zeile und kein einziges Bild von der WM bringen werde. Es ist damit Vorreiter.
Die beiden haben Recht. Über 6.700 Menschen verloren laut „Guardian“ auf den Baustellen der Stadien für das größte Fußballturnier der Welt ihr Leben, weil den Kataris Begriffe wie Arbeitsschutz absolute Fremdworte waren. So verletzten sich auch unzählige weitere Arbeiter teilweise schwer. Zahlreiche von ihnen, die aus dem Ausland kamen, wurden „gehalten“ wie in der Massentierhaltung und erhielten ihren ohnedies schon schlechten Lohn zu spät oder gar nicht ausgezahlt. Ihre Pässe mussten sie abgeben.
Frauen werden in ihren Wohnungen nahezu versteckt, während die Männer es sich im dem steinreichen Wüstenstaat in Saus‘ und Braus‘ gutgehen lassen. Und homosexuelle Menschen sind in den Augen der Kataris geradezu wie Dreck. So antwortete der einst bekannteste Fußballspieler des Landes und jetzige WM-Botschafter Khalid Salman Al-Muttanndi auf eine entsprechende Frage des ZDF-Sportjournalisten Jochen Breyer, Homosexuelle seinen „haram“ – kaputt – und letztlich geisteskrank. Um Nachfragen zu vermeiden, brach ein Offizieller Katars das Interview vor laufender Kamera ab.
Überhaupt werden die vor Ort arbeitenden Auslandsjournalisten gegängelt, wenn nicht gar schikaniert. Es sollen schließlich nur Bilder und Texte, in denen das Land sich gut dargestellt sieht, an die Außenwelt gelangen. Doch Journalisten sind nicht dazu da, Tourismus-Werbung und Polit-Propaganda zu betreiben. Ganz im Gegenteil ist die kritische Betrachtung eines jeden Geschehens ihr Job. Als Gegengewicht hierzu holt die Regierung offenbar zahlreiche Influencer ins Land, so die ZDF-Journalistin Golineh Atai. Das ändere aber nichts daran, so Atai, dass Kataris, die mit ausländischen Medien reden würden, starke Angst wegen möglicher Repressionen hätten.
Apropos gute Darstellung: Es sollen tatsächlich bezahlte Claqueure zu den Spielen bestellt sein, die gute Stimmung in den Sportarenen suggerieren sollen. Gleichwohl haben die Verantwortlichen des Wüstenstaates in Sachen Stimmung einen zweifelhaften Erfolg mithilfe eines Vertragsbruchs errungen: Bereits vor Jahren hatten sie sich bereiterklärt, für die Zeit der WM das strenge Alkoholverbot in und um die Stadien auszusetzen. Daraufhin wurden millionenschwere Verträge, unter anderem mit der amerikanischen Budweiser-Brauerei, die wesentlicher Sponsor des Fußballturniers wurde, abgeschlossen. Das dafür, dass die Kataris es sich zwei Tage vor dem Eröffnungsspiel anders überlegt haben und das strenge Alkoholverbot auch in den Fußballarenen und deren Umfeld aufrecht erhalten. Der ZDF-Korrespondent Markus Harm kommentierte diese Entscheidung so: „Die Kataris machen, was sie wollen.“
Was für die einen ein Riesengeschäft ist, betrachten die Machthaber des superreichen Landes offenbar als Peanuts. Galt die Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien mit Kosten in Höhe von 15 Milliarden Dollar als die bisher teuerste WM, so investierte Katar mit 220 Milliarden Dollar das nahezu fünfzehnfache in das Turnier. Aber klar, Riesen-Kühlschränke, die die Stadien dort sein müssen, kosten viel Geld. Denn ohne die Kühltechnik wäre das Turnier, weil bei den dortigen Temperaturen an Leistungssport nicht zu denken wäre und auch reihenweise Zuschauer mit Kreislaufbeschwerden umfallen würden, unmöglich. Und das, obwohl das Turnier eigens in die dunklere Jahreszeit verlegt worden war, was in anderen Teilen der Welt aufgrund des ausfallenden Public Viewings und den für die Verbände schwierig zu gestaltenden Spielplänen ihrer Ligen äußerst kritisch aufgenommen worden war.
Hatte sogar der Schweizer Sepp Blatter, der während seiner FIFA-Präsidentschaft noch selbst als der Korruption und Bestechlichkeit zuneigender Sportfunktionär gegolten hatte, die Entscheidung für die Vergabe der WM 2022 an Katar kurz vor deren Start als „großen Fehler“ bezeichnet, so verstieg sein Nachfolger als FIFA-Präsident, der Schweizer Gianni Infantino sich in einer circa einstündigen Wutrede während einer Pressekonferenz am 18. November 2022 – also zwei Tage vor Beginn des Turniers – zu einer als bizarr und merkwürdig empfundenen Argumentation: Die Kritik aus Europa bezeichnete er als „heuchlerisch“, denn dessen Staaten hätte sich „noch die nächsten 3.000 Jahre lang beim Rest der Welt zu entschuldigen.“ Daher sollten die Verbände sich aus den katarischen Angelegenheiten heraushalten und auf den Fußball konzentrieren.
Und er schob nach: „Wer kümmert sich denn um die Wanderarbeiter? – Die FIFA, die WM und natürlich auch Katar.“ Markus Harm vom ZDF, der derzeit in Katar weilt, konterte in den „Tagesthemen“, dass seine Recherchen keinerlei Verbesserungen für die Situation der Wanderarbeiter ergeben hätten. Ich frage mich, wer in der Causa Katar heuchlerisch argumentiert. So hat der FIFA-Präsident acht Monate vor WM-Beginn eine Zweitwohnung in Katar bezogen.
Auch die Vereine müssen zur Katar-Frage endlich eine eigene Haltung entwickeln. Ein Paradebeispiel dafür, wohin das führt, wenn das nicht geschieht, ist Bayern München. Der mehrfache Champions League-Gewinner lässt sich immer noch von der staatlichen Fluggesellschaft Katar-Airlines sponsern und hält jedes Jahr ein Trainingslager in der Wüstensonne ab. Letzteres ist natürlich mit Test- und Freundschaftsspielen verbunden, die in Ländern wie Katar bestens besucht sind und im Fernsehen übertragen werden. So tragen die Bayern zur Image-Aufbesserung Katars bei und verschaffen ihnen darüber hinaus sogar noch zusätzliche Einnahmequellen. Doch dagegen begehren immer mehr Fans des Vereins, die inzwischen eine große „Fraktion“ auf den Jahreshauptversammlungen bilden, unüberhörbar auf. Sie verlangen, alle Verträge mit Katar aufzukündigen. Nachdem der Anführer dieser Bayern-internen Opposition auf der jüngsten Versammlung noch einmal deutlich auf die Menschenrechtssituation in Katar hingewiesen hatte, musste er sich während einer Sitzungspause vor laufenden Kameras vom Bayern-Ehrenpräsidenten Ulli Hoeneß lautstark belehren lassen, dass „dies nicht die Vollversammlung von Amnesty International“ sei.
Ein weiteres Argument gegen die Ausrichtung der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar sind die ökologischen Folgen dieser Vergabe. Allein der Bau der überdimensionierten und protzigen Stadien, die nach der WM niemand mehr braucht, hat immense Material- und Energieressourcen verschlungen. Hinzu kommt die unsäglich viele Fliegerei, die mit dem Turnier verbunden ist. Da Katar den angereisten Fans nicht genug Hotelplätze anzubieten hat, mussten viele von ihnen in die benachbarten Länder ausweichen. Zu den Spielen werden sie dann mit Regionalflügen gelangen. So dürfte die Wüsten-WM vier Wochen lang für einen regelrechten Flug-Pendelverkehr sorgen. Das in Zeiten, in denen die Menschheit wirklich alles tun muss, um die Klimaveränderungen zu bremsen oder gar zu stoppen und solchen Irrsinn unterbinden.
All die genannten Aspekte, die jeder für sich genommen schon dicke Sargnägel für den Fußball bedeuten, haben mich zu dem Schluss kommen lassen, die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar als TV-Konsument zu ignorieren und möchte Ihnen nahelegen, das auch zu tun.
One Reply to “Ich werde diese „WM der Schande“ boykottieren”
Lieber Jürgen,
du sprichst mir aus der Seele. Seit 1966 habe ich keine WM verpasst, sodass mir die Entscheidung nicht leicht gefallen ist. Aber deswegen werde ich diese WM der Schande auch boykottieren.
Liebe Grüße Johannes