Daniel Ellsberg, „Urvater aller Whistleblower“, ist tot

Daniel Ellsberg, „Urvater aller Whistleblower“, ist tot

Er hatte maßgeblichen Anteil am Ende des Vietnamkrieges und Nixons Rücktritt

Von Jürgen Streich

In seinen letzten Tagen, schreibt seine Familie in der bewegenden Todesnachricht von Daniel Ellsberg, habe er angesichts der ihm entgegengebrachten Freundschaft, Zuneigung und Wertschätzung zahlreicher Menschen, gescherzt: „Wenn ich gewusst hätte, dass das Sterben so ist, hätte ich es früher getan.“ Worauf seine Frau Patricia geantwortet habe, dass sie dann froh sei, dass er es nicht gewusst habe. Im Februar habe der Whistleblower, der Anfang der siebziger Jahre die streng geheimen „Pentagon Papiere“ über den tatsächlichen Verlauf des Vietnamkrieges und die von der politischen und militärischen Führung als sehr gering eingeschätzten Erfolgsaussichten aus dem Pentagon herausgeschmuggelt und an die Öffentlichkeit gebracht hatte, erfahren, dass er an Bauchspeicheldrüsenkrebs leide. Er habe dies, schreiben seine Frau Patricia und die Kinder Robert, Mary und Michael, auf seiner sehr empfehlenswerten Website (www.ellsberg.net) seinen Freunden und Unterstützern mitgeteilt und sie darüber informiert, dass er eine Chemotherapie ablehne. Er habe sich gefreut, gemeinsam mit seiner Familie und Freunden seinen 92. Geburtstag, und den 85. seiner längjährigen Frau feiern zu können und es genossen, nun wieder Speisen genießen zu können, die ihm zuvor ärztlicherseits verboten worden waren. Am frühen Morgen des 16. Juni 2023 sei er ohne Schmerzen im kalifornischen Kensington friedlich im Kreise seiner Familie gestorben.

Der Whistleblower Daniel Ellsberg, der mitunter als „gefährlichster Mann Amerikas“ tituliert und von Präsident Richard Nixon als „Hurensohn“ bezeichnet wurde, beherrschte zeitweilig die Titelseiten.

Daniel Ellsberg im Jahr 2020 mit seiner zweiten, jahrzehntelangen Ehefrau Patricia, die ihn erstmals mit Kriegsgegnern in Kontakt brachte. Foto: Christopher Michael / @chrismichael

Ich, der ich das große Privileg hatte, Daniel Ellsberg im Jahr 2006 gemeinsam mit meinem Hamburger Freund und Kollegen Jörg Altekruse von der Fernseh- und Filmproduktionsgesellschaft „Zeitfilm Media“ im Zusammenhang mit dem gerade an ihn verliehenen Alternativen Nobelpreis zu einem ausführlichen Gespräch in einem Konferenzraum der damals noch gar nicht eröffneten Elbphilharmonie getroffen zu haben, will hier gar nicht alle Etappen seines beeindruckenden Lebensweges referieren. Diese gehen aus dem empfehlenswerten Nachruf des SPIEGEL-Kollegen Michael Sontheimer ebenso hervor, wie aus der von mir verfassten Kurzbiographie, die ich für die zweite Auflage meines Buches „Vorbilder – Menschen und Projekte, die hoffen lassen – Der Alternative Nobelpreis“ Ellsbergs Dankesrede vorangestellte habe – siehe unten.

An dieser Stelle nur soviel: Daniel Ellsberg, der oft als Urvater aller Whistleblower bezeichnet wird, war für mich, seit ich politisch denke, immer ein Vorbild an Mut und Konsequenz bis hin zur Selbstaufopferung. Jemand, dessen Arbeitsprinzip es war, mittels der Veröffentlichung von für manche Machthaber unangenehmen Tatsachen positive Veränderungen zu erzielen. Während der damalige Außenminister der USA, Henry Kissinger, und der nordvietnamesische Vorsitzende der Kommunistischen Partei und damit Staatschef Le Duc Tho 1973 dafür mit dem Friedensnobelpreis, dessen Annahme Le Duc Tho ablehnte, ausgezeichnet wurden, dass sie zuerst ein Riesengemetzel mit zigtausenden Toten betrieben und dann beendet hatten, trug Daniel Ellsberg schon viel früher maßgeblich dazu bei, dass der Vietnamkrieg später ein Ende fand und der korrupte Skandal-US-Präsident Richard Nixon zurücktrat.

Davon abgesehen habe ich ihn als ausgesprochen angenehmen Menschen, der mit sich und dem, was er geleistet hatte und weiterhin tat – nämlich weitere Personen zum Whistleblowing zu ermutigen, wofür Mordechai Vanunu, Chelsea Manning und Edward Snowden spätere prominente Beispiele sind – sehr zufrieden war, kennengelernt.

Lesen Sie hier den Auszug aus meinem Buch „Vorbilder – Der Alternative Nobelpreis – Menschen und Projekte, die hoffen lassen“:

Treffen im Jahr 2006 in Hamburg (v. l.) des Filmemachers Joerg Altekruse, Daniel Ellsbergs und des Journalisten Jürgen Streich. Foto: Zeitfilm Media

Daniel Ellsberg (geb. 1931)

„…wurde mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet, weil er ‚unter beträchtlichem persönlichem Risiko den Einsatz für Frieden und Wahrheit an die erste Stelle setzte und sein Leben der Inspiration anderer, seinem Beispiel zu folgen, widmete.‘“

Daniel Ellsberg war ehemaliger Mitarbeiter des Pentagons, des Verteidigungsministeriums der USA, der seinem Gewissen folgte und geheime Informationen über die Lügen der US-Regierung über den Vietnamkrieg hinausschmuggelte. Diese Dokumente wurden als „Pentagonpapiere“ weltberühmt. Ellsberg kämpft seither unermüdlich für den Frieden und ermutigt andere, wie er die Wahrheit über die tatsächlichen Machtstrukturen zu sagen.

Er schloss sein Volkswirtschaftsstudium im Alter von 21 Jahren in Harvard ab, diente von 1954 an drei Jahre bei der Marine und promovierte 1962, während er für die RAND Corporation arbeitete. Diese Denkfabrik wurde nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, um die US-Streitkräfte zu beraten. Seit 1959 war er dort als Analyst für Strategiefragen beschäftigt und hatte sich auf die Befehligung, Beherrschung und Kontrolle von Atomwaffen sowie die Beratung bei Plänen zu deren Einsatz spezialisiert.

Von 1961 an war er für drei Jahre Berater des Pentagon, des Außenministeriums und des Lagezentrums des Weißen Hauses, wo er sich auf nuklearstrategische Entscheidungsprozesse in Krisensituationen konzentrierte. Anschließend begann er, für das Verteidigungsministerium an Grundsätzen der Entscheidungsfindung im Vietnamkrieg zu arbeiten – sein erster Tag dort fiel mit dem Zwischenfall im Golf von Tonkin zusammen, der die acht Jahre andauernde Bombardierung Vietnams auslöste. In den nächsten fünf Jahren, zu denen auch ein zweijähriger Fronteinsatz in Vietnam gehörte, wurde er von diesem Krieg zunehmend desillusioniert. Diese Phase gipfelte 1969 in seiner Entscheidung, dass er tun musste, was in seiner Macht stand, um den Vietnamkrieg zu stoppen.

Ellsberg hatte der Presse bereits streng geheime Papiere zukommen lassen, um die Entscheidungen der Politiker zu beeinflussen und war entschlossen, das wieder zu tun. Er hatte gerade eine streng geheime 7.000-Seiten-Studie über Vietnam betreffende Entscheidungen von vier US-Regierungen gelesen, für die er einen der Bände entworfen hatte. Ab Oktober 1969 kopierte er diese heimlich und ließ sie Senator James William Fulbright, dem Vorsitzenden des Senatsausschusses für Auswärtige Angelegenheiten, zukommen. Als Fulbright dennoch nichts unternahm, gab er sie nach den Invasionen von Laos und Kambodscha erst an die New York Times, dann an die Washington Post und schließlich, als gerichtliche Verfügungen, die die Veröffentlichung untersagten, auf ihn niederprasselten, an siebzehn weitere Zeitungen weiter. Nun waren die Pentagonpapiere öffentlich. Sie bewiesen, dass die Regierung die US-Öffentlichkeit in Bezug auf den Vietnamkrieg belog.

Obwohl der Oberste Gerichtshof die Verfügungen für unvereinbar mit dem Ersten Verfassungszusatz einstufte, wurde Ellsberg verhaftet und wegen zwölf Tatbeständen mit einer Strafandrohung von 115 Jahren Gefängnis angeklagt. Allerdings war Präsident Nixon dermaßen besorgt, Ellsberg könne noch mehr sensible Dokumente besitzen und weitergeben, dass er einen Einbruch bei Ellsbergs früherem Therapeuten in der Hoffnung veranlasste, Informationen für die Erpressung von Ellsbergs Schweigen zu finden. Das wurde Teil des Watergateskandals, der zu Nixons Rücktritt und schließlich zum Ende des Vietnamkriegs führte. Aufgrund des Fehlverhaltens der Regierung schlossen die Gerichte 1973 die Akten.

Ellsberg beantwortet vor einem US-Gericht Fragen von Journalisten.

Daniel Ellsberg arbeitet seither weiter für Frieden und nukleare Abrüstung. In den Jahren 1975 und 1976 war er als Organisator, Teilnehmer und Spendensammler am Kontinentalen Marsch für Abrüstung und Soziale Gerechtigkeit, einer Art Ostermarsch, beteiligt. Mehrere Jahre lang engagierte er sich in der Freeze-Kampagne, die das Einfrieren der nuklearen Rüstung zum Ziel hatte, um zumindest weitere Aufrüstung zu verhindern. Seiner eigenen Einschätzung nach wurde Daniel Ellsberg bei Friedensaktionen circa 85 mal verhaftet, zuletzt vor der Verleihung des Alternativen Nobelpreises in der Nähe der Ranch von George W. Bush in Texas, wo er gegen den Irakkrieg protestierte. Er setzte sich gegen den Bau der Neutronenbombe und später sowohl in Europa als auch in den USA, gegen Bau und Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen ein und fuhr auf dem Greenpeace-Schiff Sirius mit nach Leningrad, um dort gegen sowjetische Nukleartests zu protestieren. Ellsberg geht davon aus, dass es der Erfolg der Freeze-Kampagne ist, daß US-Präsident Ronald Reagan dem Warschauer Pakt die sogenannte „Null-Lösung“ bei Mittelstreckenraketen in Europa vorschlug, die die damals neue Moskauer Führung unter Michail Gorbatschow wider Erwarten akzeptierte. Es war der Anfang vom Ende des Kalten Krieges.

1992 startete Ellsberg mit der Organisation Ärzte für Soziale Verantwortung das „Manhattan Project II“ (mit Manhattan Project wurde das Programm zum Bau der ersten Atomwaffen bezeichnet). Dieses setzte sich zum Ziel, einen Konsens zwischen allen Anti-Atom- und Friedensgruppen hinsichtlich gemeinsamer Schritte zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens und der Weiterverbreitung von Atomwaffen sowie deren massive Reduktion bis hin zur völligen Abschaffung herzustellen. Der Konsens wurde inhaltlich erreicht, faktisch kam es aber lediglich zu einem Teststoppabkommen, das die USA immer noch nicht ratifiziert haben und von Nordkorea bisher völlig ignoriert wird.

Als Daniel Ellsberg begann, sich innerlich vom Vietnamkrieg zu distanzieren, erkannte er, dass die gesamte Eskalationsstrategie des Präsidenten von Geheimhaltung und Lügen abhängig war; und demzufolge auch von Druckmitteln, mit denen nicht autorisierte Enthüllungen – das Aussprechen der Wahrheit – verhindert werden sollten. Die Parallelen zum Irakkrieg waren offensichtlich, so dass Ellsberg im Jahr 2004 das Truth Telling Project gründete, um Insider zu ermutigen, offizielle Lügen zu entlarven.

Es begann während der Vorbereitungen zum Irakkrieg anno 2003 mit einem von elf früheren Beamten unterzeichneten offenen Brief in der The New York Times. Dieser beinhaltete einen Aufruf zum „patriotischen Geheimnisverrat“. Beteiligt waren u.a. die Britin Katharine Gun und der Däne Frank Grevil, die in ihren Ländern dieser Art des Geheimnisverrats beschuldigt waren. Das Truth-Telling-Projekt führte zur Gründung der Koalition der Nationalen Sicherheits-Geheimnisverrätern. Geleitet wurde diese von ihrer Mitbegründerin Sibel Edmonds, einer FBI-Geheimnisverräterin. Der Koalition gehören mittlerweile über 60 frühere Beamte aus nationalen Sicherheitsbehörden an. Seit 2004 wird Daniel Ellsberg nicht müde, bei öffentlichen Auftritten auf die Parallelen zwischen den Kriegen im Irak und in Vietnam sowie der Irankrise hinzuweisen (und wurde es seither auch im Zusammenhang mit anderen Konflikten und zuletzt dem Ukrainekrieg bis zu seinem Tod nicht. – Anm. JS vom 14. Juni 2023).

Auszüge aus Daniel Ellsbergs Dankesrede zur Verleihung des Alternativen Nobelpreises

Es ist eine besondere Ehre für mich, den gleichen Preis zu erhalten, der vorher, 1987, an Mordechai Vanunu vergeben wurde. In den einundsechzig Jahren des Atomzeitalters bleibt Vanunu, unter all den Offiziellen und Wissenschaftlern, die von Nuklearwaffenprogrammen gewusst haben, der einzige, der alles getan hat, was er hätte tun sollen, um die Welt vor fortdauernden nuklearen Gefahren zu warnen. Das soll heißen, dass er die einzige Person im der Nuklearsphäre ist, die das getan hat, wozu ich andere in meinem Truth-Telling-Projekt dränge.

„Würden Sie nicht auch ins Gefängnis gehen, um mitzuhelfen, einen Krieg zu beenden?“ – So beantwortete Daniel Ellsberg in einem Fernsehinterview die Frage eines Journalisten.

Natürlich hat er einen hohen Preis dafür bezahlt. Wegen seiner beispielhaften, mit Fotografien nuklearer Waffenprogramme belegten Enthüllungen, die seine Regierung fortgesetzt und wahrheitswidrig abgestritten hat, wurde er aus Italien entführt und in Geheimverhandlungen zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt. Und nach der Verbüßung seiner vollen Strafe – zum größten Teil skrupellos in eine zwei mal drei Meter große Einzelzelle gesperrt – darf er bis zum heutigen Tag bestimmte Bereiche Israels nicht verlassen. Außerdem sieht er sich der ständigen Gefahr, wieder im Gefängnis zu landen, ausgesetzt, weil er auf seinem Recht, mit Ausländern und israelischen Kritikern der Kernwaffenpolitik ihres Landes zu sprechen, besteht. 

Mordechai wies kürzlich in einer Mitteilung an mich, in der er mir zum Erhalt des Right Livelihood Awards gratulierte, darauf hin, dass ich Schweden weit früher besuche, als er es kann, obwohl er selbst den Preis vor 19 Jahren erhielt. Falls er jemals befreit werden sollte, um seine Botschaft zur Abschaffung von Nuklearwaffen in seinem Land und auf der Welt zu verbreiten, dann nur deshalb, weil weltweiter Protest – zu dem ich dieses Publikum und Schweden neben anderen dränge! – Israel schließlich dazu bewegt, diese Verletzung fundamentaler Menschenrechte zu beenden. Trotzdem bereut er, wie er mir und anderen wiederholt mitteilte, nicht, die Wahrheit ausgesprochen zu haben, trotz der Konsequenzen für ihn. Und er fordert andere Bürger der Atommächte auf, wie ich gleiches zu tun.

Tatsächlich ist das (…) meine Hauptbotschaft in den letzten Jahren: Wir brauchen noch mehr Vanunus in jedem potentiellen und aktuellen Staat mit Nuklearwaffen, an erster Stelle meinem eigenen.   

Höchst aktuell haben in den USA die Journalisten Seymour Hersh (der sich als investigativer Journalist zweillos große Verdienste erworben hat, zuletzt aber mit kaum haltbaren Behauptungen auffiel, Anm. JS, 17. Jui 2023) und andere aufgedeckt, dass die gegenwärtige US-Regierung während der zurückliegenden anderthalb Jahre Einsatzpläne für den nuklearen Angriff auf unterirdische iranische Nuklearenergieanlagen erstellen lassen hat – auf Kommando des Präsidenten hin sofort einsetzbar. Hersh hat zudem enthüllt, dass die Vereinigten Stabschefs ihre Einwände gegen diese Planungen in streng geheimen Memoranden an das Weiße Haus dargelegt haben. (…)

Das kann nur durch nicht autorisierte Offenlegung geschehen – ein massives “Leck” – durch jemanden, der Zugang zu solchen Dokumenten hat und mit dem Urteil des Militärs übereinstimmt, dass die Ausführung solcher Pläne katastrophal wäre. Es gibt wahrscheinlich zwischen einem Dutzend und Hundert Menschen, die angesichts der               Herausforderung bereit wären, die Verantwortung auf sich zu nehmen und die Welt zu warnen. Eine solche Person würde ein persönliches Opfer, das mit dem Vanunus vergleichbar ist, riskieren und sehr wahrscheinlich auch zu erleiden haben.

Ich schlage das nicht leichtfertig vor, nachdem ich mich einem ähnlichen Risiko für mich selbst gegenübersah, als ich vor fünfundzwanzig Jahren die Wahrheit offenbarte. (…) Anders als es Vanunu erfahren musste, führte die nachfolgende Enthüllung von verschiedenen Regierungsverbrechen an mir – vergleichbar mit seiner kriminellen Entführung durch die israelische Regierung – schließlich zur Niederschlagung der Anklagen gegen mich. Falls es aber anders gekommen wäre, bin ich mir sicher, dass ich nicht mehr Bedauern verspüren würde, als er es dafür tut, dass er Wahrheiten ausgesprochen hat, die viele Leben retten könnten.

Was ich wirklich bedauere, ist, dass ich nicht daran dachte, die Tatsachen über das Hineinlügen meines Landes in den Vietnamkrieg in der Zeit zwischen 1964 und 1965 zu enthüllen, als ich es als Pentagonbeamter hätte tun können, bevor die massive Eskalation stattfand, und so vielleicht den Krieg insgesamt hätte verhindern können. Aber noch mehr bedaure ich, dass ich nicht eher daran dachte, die Natur unserer Nuklearkriegspläne zwischen 1959 und 1964 offenzulegen, als ich auf höchster Ebene als Berater des Verteidigungsministers mit solchen Planungen befasst war. Meine Appelle an gegenwärtige Beamte zu rechtzeitigem Aussprechen der Wahrheit beabsichtigen unter anderem, ihnen solches Bedauern zu ersparen.

Das Risiko eines Luft- oder Nuklearangriffs auf den Iran in den verbleibenden zwei Jahren der Bush-Administration gibt offensichtlich nicht allein in den USA Anlass zur Sorge. (…) Ich möchte diese Gelegenheit ergreifen, die folgende Frage zur dringenden Diskussion in Europa zu stellen: Was planen die Öffentlichkeit und hohen Repräsentanten der beteiligten Länder zu tun, falls sie (…) mit einem US-Angriff auf den Iran konfrontiert werden?  Und vor allem, wie würden sie nach iranischer Vergeltung auf den Einsatz von US- oder israelischen Nuklearwaffen gegen unterirdische Ziele auf die Eskalation reagieren?

Sicherlich sollten diese Länder die Nutzung ihrer Lufträume oder Basen auf jedweder Kollaborationsbasis bei einer irgendwie gearteten amerikanischen Aggression nicht gestatten, wie es Deutschland beim Angriff auf den Irak trotz seiner offiziellen Nichtteilnahme dennoch tat. (…) 

Aber das allein wäre kaum genug, um von einem möglichen Einsatz von Nuklearwaffen durch die USA direkt oder Israel in Komplizenschaft mit den USA abzuschrecken oder auf ihn zu antworten. Regierungen wären dazu gezwungen, auszuführen, was ihre Vertreter empörenderweise als „die Nuklearoption“ beschrieben haben, die sie als „auf dem Tisch liegend“ betrachten. Nichts weniger als der Rückzug eines jeden einzelnen Mitgliedsstaates aus der NATO wäre als Antwort angemessen, wenn nicht gar der Ausschluss der USA aus der NATO-Allianz.

Es wäre für jeden europäischen und jeden anderen Staat undenkbar, in einem Militärbündnis oder darüber hinaus in normalen Beziehungen zu einem Staat zu bleiben, der gerade ausgeführt hat, was die Generalversammlung der UNO richtig als „das schlimmste Verbrechen an der Menschheit“ definiert hat, den Ersteinsatz nuklearer Waffen.

Um es der europäischen Öffentlichkeit im Voraus unmissverständlich klar zu machen: Petitionen, Demonstrationen und Druck auf ihre jeweiligen Regierungen durch Wahlen und Lobbyarbeit sind die äußerste und vielleicht einzig praktikable Abschreckung gegen einen solch desaströsen Kurs. (…)

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