Quo vadis Woelki? – Hirte ohne Herde

Quo vadis Woelki? – Hirte ohne Herde

Ein kommentierender Bericht über das Gebaren des Erzbischofs von Köln

Mit unangenehmen Fragen konfrontiert: Kardinal Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Köln. Foto: Michael Bause

Von Dr. Michael Schäfers

Die unsägliche Politik des Erzbistums Köln im Umgang mit den zahlreichen Fällen sexualisierter Gewalt, insbesondere das Versagen von Kardinal Rainer Maria Woelki, erhitzt weiterhin die katholischen Gemüter – und das nicht nur in Köln. In historischer Reminiszenz auf die ersten „Kölner Wirren“ von 1837 haben wir es mit den zweiten „Kölner Wirren“ zu tun, die ebenfalls einen tiefen geschichtlichen Einschnitt für die katholische Kirche insgesamt markieren. Kurz zur Erinnerung: In der sogenannten „Mischehenfrage“ beharrte der damalige erzkonservative, antiaufklärerische Kölner Erzbischof, Clemens August Droste zu Vischering, darauf, dass bei konfessionsverschiedenen Ehen alle Kinder katholisch zu taufen und zu erziehen seien. Der preußische Ministerrat sah das anders und entschied daraufhin, den uneinsichtigen und halsstarrigen Erzbischof (mit seinem Sekretär) auf der Festung Minden in Beugehaft zu nehmen. Das katholische Deutschland schäumte gegen Preußen. Rom hielt dem Kölner Potentaten die Treue und verurteilte das Vorgehen der preußischen Regierung auf das Schärfste. Anders das Kölner Domkapitel. In einer Note an die römische Kurie erhoben die der katholischen Aufklärung und dem Rationalismus verbundenen Domkapitulare schwere Vorwürfe gegen ihren eigenen Oberhirten. Friedrich Wilhelm IV. beendete schließlich 1839 die Haft, um das neue Bündnis von Thron und Altar zu schmieden. Das preußische Militär erhielt fortan auch den katholischen Segen. Nach Köln kam Droste zu Vischering allerdings nicht zurück. Fortan lebte er bis zu einem Tode 1845 im Exil auf dem Familienbesitz im Münsterland als ein Hirte ohne Herde.

Karikatur: Burkhart Mohr

In den zweiten „Kölner Wirren“ nimmt wiederum ein erzkonservativer, an einer von Opus-Dei geführten päpstlichen Universität promovierter Kardinal eine Schlüsselstellung ein. Hat Woelki als Erzbischof von Berlin durchaus eine progressive Pastoral und zeitgemäße Aufbrüche initiiert, sich vehement für Flüchtlinge und Arme eingesetzt, scheint die Kölner Luft eine Kehrtwende bewirkt zu haben. Wie bei zahlreichen Erzbischöfen und Kardinälen vor ihm, hat das Amt des Kölner Oberhirten tiefgreifende persönlichkeitsverändernde Struktureinbrüche zur Folge, insbesondere einen anamnetischen Realitätsverlust und Starrsinn.

Schon in der Auseinandersetzung mit den kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Berlin hatte sich diese „harte Seite“ Woelkis offenbart, die er angesichts Kölner Pannengeschichten nun nahtlos fortzusetzen versucht. Aber die Herde ist im Aufstand gegen den Hirten. Massenhaft verlassen die Schafe die katholische Kirche, kündigen den Hirten die Loyalität auf – nicht nur in Köln. Die, die bleiben, entdecken ihren Glauben in der Revolte gegen die Hirten neu und setzen gleichzeitig die Täterorganisation „Kirche“ auf die Anklagebank. Sie verlangen tiefgreifende strukturelle Reformen. Die widerlichen Missbrauchstaten und die Praxis der Vertuschung durch die Hirten bringen die Gläubigen auf die Barrikaden. Und ein Ende ist nicht abzusehen. So schnell wird es keine Ruhe mehr geben, auch für Woelki nicht.

Denn die katholische Kirche erlebt derzeit nicht nur einen Imageschaden ohnegleichen. Sie befindet sich im freien Fall. Statt den Opfern sexualisierter Gewalt zur Seite zu stehen und sie zu schützen, deckten und decken toxische Männerbünde der Kirchenoberen die Täter. Bischöfe, Generalvikare, hohe Geistliche und Kirchenfunktionäre leisteten systematisch Widerstand gegen die Aufklärung und Verfolgung klerikaler Missbrauchsfälle. Das priesterliche Gespräch, die „Ermahnung im Glauben“, das Bekenntnis der eigenen Schuld und die Versetzung in eine andere Gemeinde wurden als ausreichend zur Läuterung erachtet statt die Täter durch die Justiz dingfest machen zu lassen, ihnen das Priesteramt zu entziehen und sie in die Wüste zu schicken. Ignoranz und Blindheit gegenüber den Opfern, Nachsicht und Verständnis für die Täter – dieses Muster stellen alle bisher erstellten Gutachten fest. Köln war und ist da keine Ausnahme. Im Gegenteil. Woelkis Vorgänger, Erzbischof Meisner, führte einen geheimen Aktenordner mit dem bezeichnenden Titel: „Brüder im Nebel“. Die Täter blieben Brüder…

Welche Rolle Woelki selbst in einigen Fällen sexuellen Missbrauchs gespielt hat, ist umstritten. Das zweite Gutachten des Strafrechtlers Björn Gercke stellte keine Pflichtverletzungen des amtierenden Oberhirten fest. Woelki nahm sich eine Auszeit, nachdem Papst Franziskus erklärt hatte, ihn im Amt zu belassen. Als Apostolischer Administrator leitete Weihbischof Rolf Steinhäuser das Erzbistum. Eine Zeit des Aufatmens, des Aufeinanderzugehens, des Zuhörens und der Verständigung… Ausgerechnet am Aschermittwoch dieses Jahres kehrte Woelki dann reuig in sein Amt zurück. Sofort wurden erneut Rücktrittsforderungen laut, um den dringend notwendigen personellen Neuanfang zu schaffen. Woelki sitzt diese weiter aus.

Am 15. August 2022 hielt Woelki zum Hochfest der Aufnahme Mariens in den Himmel in der Wallfahrtskirche Ziemetshausen in Bayern die heilige Messe. Die Wallfahrtsdirektion kündigte ihn als „treukatholischen Bischof“ an, der durch die Medien verfolgt werde. Ziel der „innerkirchlichen modernistischen Kräfte“, die die Medienkampagne im Hintergrund initiierten, sei es, einen rechtschaffenden Kardinal aus dem Amt zu drängen. So erinnern die Vorgänge doch irgendwie an die ersten „Kölner Wirren“: Ein uneinsichtiger Kardinal, halsstarrig und unter Realitätsverlust leidend, unterstützt von erzkatholischen und ultramontanen Kräften, stilisiert zum Verfolgten, zum Opfer dunkler und antikirchlicher Machenschaften… Es wird Woelki gefallen und darin bestärkt haben, im Amt zu bleiben. Aber einen Neuanfang zwischen den Hirten und der Herde wird es mit Woelki im Erzbistum Köln nicht mehr geben. Quo vadis Woelki? Vielleicht wäre auch für ihn persönlich das Exil ein guter Weg. Für die Herde in jedem Fall!


Der Autor

Michael Schäfers, Dr. phil., geb. 1962 in Paderborn. Studium der Katholischen Theologie, Soziologie, Politologie und Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Paderborn, Bielefeld und Münster. Referent für Politik und Strategie beim Bundesvorstand der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung in Köln. Zahlreiche Veröffentlichungen zu kirchenpolitischen Themen. Zuletzt als Buch erschienen: Wie Papst Franziskus Politik macht. Zur Sozialenzyklika „Laudato si“, Köln 2017. Im Erscheinen: Der Vorrang der Arbeit – eingelöst oder nicht? – Die katholische Soziallehre und ihr Spannungsverhältnis zur Praxis der Kirche als Arbeitgeberin. Der Autor lebt mit seiner Familie in Frechen-Königsdorf.

Michael Schäfers leitet das Grundsatz-Referat der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB).

2 Replies to “Quo vadis Woelki? – Hirte ohne Herde”

  1. Laut Lehre der katholischen Kirche müssen Kleriker ‚In persona Christi‘ handeln und leben. Sie haben also einen göttlichen Status, der sich in der Hierarchie nach oben verfestigt. Dies sind dogmatische Inhalte, die auch das progressive 2. Vatikanum beinhaltet. D. h., so etwas wie Sünden dürfen nicht vorkommen. Reglementiert wird das hierarchische System durch den Gehorsam, der z. B. für die Abtötung des Unbewussten sorgen soll. Die menschliche Natur sollen Kleriker durch eine Übernatürlichkeit überbieten. Hier spielt das Über-Ich-Problem eine wichtige Rolle. Doch die menschliche Natur bleibt auch bei Klerikern voll erhalten. Eugen Drewermann konnte dies in seinem Buch ‚Kleriker – Psychogramm eines Ideals‘ zeigen. Kommt es zu Verdrängungen, die das katholische System geradezu evoziert, muss dies aus Reinheitsgründen verschwiegen werden.

    Was muss sich in der katholische Kirche ändern? Einführung von demokratischen Strukturen, völlige Selbstständigkeit der Ortsgemeinden und damit der Basis, plurale Formen der Leitung einer Ortsgemeinde, dienender Charakter der ‚über‘ – örtlichen Charismen, Aufhebung des Zölibates, Zulassung der Frauen zu allen Leitungscharismen, theologische Bildung vor Ort, mehr Beachtung von modernen Ausdrucksformen, u.v.a. Dazu wird es notwendig sein, sich von einiger Dogmatik zu verabschieden….

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