Klagegesänge eines Fußballfans (Folge 5)

Klagegesänge eines Fußballfans (Folge 5)

Schmierentheater


An dieser Stelle gibt es bis zur Fußball-Weltmeisterschaft (So., 20. November bis So., 18. Dezember 2022) in Katar eine Artikelserie des emeritierten Politologieprofessors und Publizisten Dr. Klaus Hansen.


Von Klaus Hansen

Typographie: Klaus Hansen

Der Trend zur künstlichen Theatralisierung des Fußballsnach dem Muster von Soap Operas hält an. Eine Fußballbundesliga-Saison mit 34 Spieltagen wird heute vom Fernsehen, zumal den Privatsendern, wie eine Vorabend-Serie inszeniert, wie ein wöchentliches „Dallas with Balls“. Zusammen mit Vor- und Nach“berichterstattung“ dauert die Soap mehr als doppelt so lange wie das Fußballspiel selbst.

Eine künstlich erzeugte Spannung – „Wie wird es ausgehen?“ vor dem Spiel, „Hätte es auch anders ausgehen können? nach dem Spiel. „Und wie weiter jetzt?“ – soll den Wegfall der natürlichen Spannung kompensieren. Denn die Ungewissheit des Ausgangs der Saison ist nicht mehr gegeben, wenn der Sieger nun schon zum x-ten Mal hintereinander Bayern München in Deutschland, Paris St. Germain in Frankreich und Manchester City in England heißt.

Im Stadion selbst haben sich Eventmanager zum „Arbeitskreis Stimmung“ zusammengetan. Sie friemeln an der telegenen Spektalisierung des Rahmenprogramms. Man trimmt es auf feierlich (mit der „Vereinshymne“), auf schlüpfrig (mit „Chearleaders“), auf infantil (mit „Einlaufkindern“) und auf schrottig mit Schlagersängern vom Ballermann, die in der Halbzeitpause den guten Geschmack beleidigen. Man erfindet unentwegt Ratespielchen, bei denen es Flaschenöffner mit den Namen von Global Players zu gewinnen gibt, die sich vor Ort lieb Kind machen wollen.

Auf dem Spielfeld geht es nicht weniger „eventig“ zu. Spieler wälzen sich, kaum dass sie „retuschiert“ (Olaf Thon) wurden, fünfmal um die eigene Achse. Man mimt den Sterbenden Schwan, um bald darauf wieder ein wendiger Hase zu sein. Die Inszenierungen des Torjubels gleichen inzwischen kleinen Comedy-Sketchen mit Grimme-Preis-Ambitionen. Die Spieler wechseln von Spiel zu Spiel ihre Frisuren und präsentieren der Kamera die allerneuesten Tattoos. Jährlich wechselnde Heim- und Auswärtstrikots gehen nicht nur den Fans ans Portemonnaie, sie werden auch ernsthaft im Mode-Teil von „Stern“ und „Bunte“ kommentiert. Nicht unwahrscheinlich, dass demnächst der Sechser sich für nonbinär erklärt und mit bunt lackierten Fingernägeln spielt. Denn Diversität läuft gerade gut.

Die Paläste des Schmierentheaters heißen „Signal-Iduna-Park“ oder „Schau-ins-Land-Reisen-Arena“. Die Platanen, auf die man klettern konnte, um einen schöneren Ausguck zu haben, gibt es nicht mehr. Im Inneren der Paläste haben die natürlichen Himmelsrichtungen als Orientierungsmarken ausgedient. Statt auf der West-Tribüne findet man sich auf der „Sparkassen-Tribüne“ ein; statt in der Nord-Kurve sammeln sich die Ultras im „König-Pilsener-Segment“. Doch es ist noch viel Luft nach oben. Die Vermarktung der Torgehäuse könnte als Nächstes folgen: „Lufthansa-Kasten“ hier, „Daihatsu-Bude“ dort. Die Werberechte für die Eckfahnen gehen an „Nutella“ und die „Fruchtzwerge“. Beide Elfmeterpunkte überlässt man einer Golfbälle produzierenden Firma aus Balve im Sauerland. Ein Blick auf die beliebten Nachbarsportarten Handball und Eishockey genügt für weitere Anregungen: Die Spielflächen, Eis und Parkett, sind voller Werbebotschaften. Wie viele nützliche Kundeninformationen ließen sich auf einem Hektar Kunstrasen unterbringen! „Teppichriesen“ aus Nah und Fern: aufgewacht und Druck gemacht! The Show must go on.

Und dann, nach jedem Spiel, das Sprech-Theater am Spielfeldrand. Life-Interviews auf Plastikdeutsch und im Ton der verlogenen Demut. Der Torschütze: „Ich bin froh, dass ich meiner Mannschaft helfen konnte.“ Der überragende Mittelfeldmann zeigt sich fassungslos vor Glück, dass er überhaupt dabei sein durfte. Gefragt, ob er sich zu den Besten im Lande zähle: „Das müssen andere beurteilen.“ (Andernorts hatte er gesagt, zu den Top Five rechne er sich nicht unbedingt, „zu den Top One aber schon.“) Blutjung und schon weise wie ein toter Sokrates, kommentiert der 20jährige Verteidiger das Unentschieden: „Heute war mehr drin, aber auch weniger.“ Keine einzige Chance habe man heute gehabt, klagt der Trainer, „aber einige Möglichkeiten gab es doch.“

Kein Manni Burgsmüller weit und breit, der einst nach dem Spiel zum Interview erschien, die Reporter gar nicht erst zu Wort kommen ließ und die „Pressekonferenz“ mit zweieinhalb Sätzen beendete: „Ich weiß nicht, wie Sie mich gesehen haben. Ich habe mich gut gesehen. Danke schön.“


Klaus Hansen. Foto: Jürgen Streich

Der Autor

Klaus Hansens Interessensgebiete reichen von A wie Anarchismus bis Z wie Zivilcourage. Ganz wichtig dazwischen: F wie Fußball. Diese Sportart beleuchtet er in seinem neuen Buch aus allen Richtungen. Dabei zeigen viele seiner Geschichten, Gedichte, Essays und Graphiken, wie sehr Fußball die Gesellschaft und den Zeitgeist abbildet – ob auf dem Platz, auf den Zuschauerrängen, außerhalb der Stadien und auch in den Medien. Bis hinein in die große Politik wirken die Vergaben und Inszenierungen internationaler Turniere.

Hansen, geboren 1948 in Pronsfeld in der Eifel, studierte Psychologie, Soziologie, Publizistik und Ethnologie an der Universität Münster und wurde 1977 zum Doktor phil. promoviert. Es folgten verschiedene Dozententätigkeiten, von 1992 bis 1996 war er Regierungsdirektor im Bundesministerium des Inneren. Anschließend übernahm er eine Professur für Politische Wissenschaften und Politische Bildung an der Hochschule Niederrhein Krefeld / Mönchengladbach.

Klaus Hansen wurde 2013 emeritiert und arbeitet seither ausschließlich als Publizist. 2017 erschien im Kölner Roland Reischl Verlag sein Buch „Soccer – Stories, Lyrics, Essays“ als eine von zahlreichen Veröffentlichungen.

Um die Fußballbegeisterung von Klaus Hansen zu beschreiben, eignet sich insbesondere eine Geschichte um den allerersten Spieltag der neuen Fußball-Bundesliga am Samstag, dem 24. August 1963: Damals brach der 15-jährige Klaus Hansen am Mittwoch zuvor mit dem Fahrrad in Duisburg auf, um drei Tage später rechtzeitig zum Anpfiff des Auswärtsspiels seinen geliebten MSV im Karlsruher Stadion zu sein. Überglücklich über dessen 4:1-Sieg auf des Gegners Platz – die Duisburger „Zebras“ landeten damit nach dem 1. FC Köln und Schalke 04 auf dem dritten Platz – kam er am darauffolgenden Dienstag wieder zu Hause an.

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