„Tschick“ – Grenzerfahrungen auf dem Weg in die Walachei
Axel Walbröhl empfiehlt den Jugendroman von Wolfgang Herrndorf, der als Roadmovie auch verfilmt wurde
„Tschick“ ist ein auch für ältere Semester lesbarer und unterhaltsamer Jugendroman über viele Facetten des Erwachsenwerdens. Er handelt von Versuchen, aus den Normen des Elternhauses auszubrechen, Grenzen auszuloten, von ersten Lieben und der Suche nach dem eigenen Kompass. Wolfgang Herrndorf erzählt in dieser auch als Roadmovie verfilmten Geschichte von den Ferienabenteuern zweier Jugendlicher, durch die sie vieles über sich und darüber erfahren, was die Zukunft für sie bereithalten könnte – Positives wie Bedrohliches.
Axel Walbröhl. Foto: Jürgen Streich
Als die Mutter des Ich-Erzählers Mike sich in einer Entziehungskur und sein Vater sich auf einer vermeintlichen Geschäftsreise mit seiner Sekretärin befindet, taucht Tschick in seinem Leben auf. Aus dem zunächst distanzierten Verhältnis zu dem neuen Klassenkameraden, der aus einer sozial eher unteren Schicht stammt, entwickelt sich trotz aller Unterschiede dennoch eine Freundschaft. Als Tschick an einem Ferientag plötzlich mit einem geknackten Lada vor Mikes Tür steht, brechen die beiden unvermittelt zu einer Tour „in die Walachei“ auf, ohne zu wissen, wo diese liegt. Dabei erfahren sie im wahrsten Sinne des Wortes viel über Deutschland.
Das liegt insbesondere an den Menschen, denen sie begegnen. Da gibt es einerseits den elitären „Adel auf dem Radel“, andererseits Isa, das Mädchen vom Schrottplatz. Als dieses sie auf der Reise ein Stück begleitet und bei Tschick auf Ablehnung stößt, verliebt Mike sich in Isa, die die Reisenden aber bald wieder verlässt. Nachdem der Zufall sie an einem Abend zum Essen bei einer grün-konservativen Familie verschlagen hat, bekommen sie tags darauf wegen fehlender Fahrerlaubnis Ärger mit der Polizei. Die beiden Freunde verlieren sich kurzzeitig aus den Augen, als Tschick mit dem geklauten Lada flieht und Mike sich das Fahrrad des Dorfpolizisten schnappt. Doch ohne jede Absprache finden sie schon bald wieder zusammen.
Aber Tschick bleibt auf der Flucht. Mike kehrt zu seiner Mutter, die in der Therapie viel über sich selbst gelernt hat, zurück. Doch sein zwischenzeitlicher Ausbruch aus der konventionellen Enge hat auch seinen Horizont erweitert.
Ein Roman, der trotz aller Wirrungen zeigt, wie wichtig eigene (Grenz-)Erfahrungen mit dem Blick auf all das sind, was im Leben noch kommen mag.
_______________________________________________
Leseprobe
Tatsächlich fing der Gedanke langsam an, mich zu beschäftigen. Aber kaum war Tschick gegangen, lösten sich die Cousinen und alles andere in Nebel auf und verschwanden, und zurück blieb ein elendes Gefühl. Geradezu das heulende Elend. Das hatte mit Tschick aber nichts zu tun. Das hatte was mit Tatjana zu tun. Damit, dass ich überhaupt nicht wusste, was sie jetzt über mich dachte, und dass ich es vielleicht auch nie erfahren würde, und in diesem Moment hätte ich wirklich einiges dafür gegeben, in der Walachei zu sein oder sonstwo auf der Welt, nur nicht in Berlin…
Allein dass jetzt unsere Buchstaben neben all den anderen Buchstaben standen, die von Toten gemacht worden waren, zog mir am Ende doch irgendwie den Stecker. „Ich weiß nicht, wie es euch geht „, sagte ich, „aber die ganzen toten Leute hier, die Zeit – ich meine, der Tod.“ Ich kratzte mich hinterm Ohr und wusste nicht, was ich sagen wollte. „Ich wollte sagen“, sagte ich, „ich finde es toll, dass wir jetzt hier sind und ich bin froh, dass ich mit euch hier bin. Und das wir befreundet sind. Aber man weiß ja nie, wie lange – ich meine, ich weiß nicht, wie lange es Facebook noch gibt – und eigentlich würde ich gern wissen, was aus euch mal wird, in fünfzig Jahren…“
________________________________________________
Über den Rezensenten
Axel Walbröhl ist mit 29 Lebensjahren das jüngste Mitglied der Frechener Schreibwerkstatt. Er lebt in Frechen, ist Erzieher und stellvertretender Leiter des dortigen Waldkindergartens „Buntspechte“. In seiner Freizeit liest, schreibt und fotografiert er gerne. Er interessiert sich für analoge Kameras und pflegt zwei schwedische Oldtimer mit je vier Rädern.