Bürgermeister greift Journalisten tätlich an
Bedenkliche Provinzposse im thüringischen Bad Lobenstein – Aggressiver Bürgermeister inzwischen des Dienstes enthoben
(MEEDIA, OTZ, mdr, 22. 8. 2022, akt. 24. 8. 2022) Auf dem Marktplatzfest in Bad Lobenstein hat der damalige Bürgermeister Thomas Weigelt am 21. August 2022 den Journalisten Peter Hagen von der Ostthüringischen Zeitung (OTZ) tätlich angegriffen und durch sein wüstes Vorpreschen noch einen unbeteiligten Mann, der hinter Hagen stand, mit zu Fall gebracht. Hagen wurde dabei am Ellbogen verletzt und seine Kameraausrüstung beschädigt.
Der OTZ-Journalist hatte den Noch-Bürgermeister bei einem Gespräch mit einem Reichsbürger, der sich laut Mitteldeutschem Rundfunk Heinrich XIII Prinz Reuß nennt und den kurz zuvor bereits als geladenen Gast bei einem Empfang Weigelts gesehen hatte, gefilmt.
Seit dem Vorfall beim Markplatzfest hagelt es Rücktrittsforderungen gegen den parteilosen Ersten Bürger der Stadt. So betonte Julia Becker, die Verlegerin der Funke Mediengruppe, der auch die OTZ angehört: „Der Angriff auf unseren Reporter der OTZ ist nicht nur ein schändlicher Angriff auf einen unserer Mitarbeiter. Es ist auch ein Angriff auf die Pressefreiheit und damit auf einen der Grundwerte unserer Demokratie. (…) Daher ist der Rücktritt dieses Bürgermeisters, der mit körperlicher Gewalt Berichterstattung verhindern will, unumgänglich.“ Der Verlag werde alle juristischen Möglichkeiten ausschöpfen, um den Angriff Weigelts zu ahnden.
Der Landrat des Saale-Orla Kreises, Thomas Fügmann, äußerte sich auf Facebook „schockiert und fassungslos über diese Nachricht aus Bad Lobenstein“ und forderte Weigelts Rücktritt. Der Kreis bearbeitet derzeit bereits in einer anderen Angelegenheit ein Disziplinarverfahren gegen den Bad Lobensteiner Bürgermeister. Der Angriff auf den Journalisten, der auch Strafantrag gestellt hat, fließe nun mit ein, hieß es von dort.
Auch aus der „großen“ Politik gab es Kritik. Bundesinnenministerin Nancy Faeser betonte gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe, das Einschüchterungen, Gewalt und das Verbreiten von Angst niemals Mittel der Politik sein dürften. Auf lokaler Ebene käme verschärfend noch hinzu, dass Journalisten und Politiker sich vor Ort häufig begegneten. Und der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) befand: „So etwas geht einfach gar nicht“, und verlangte Konsequenzen für Weigelt.
Die Thüringer Landesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Heidje Beutel, schloss sich den Demissionsforderungen anund sagte: „Weigelt tritt Grundrechte wie die Pressefreiheit mit Füßen.“
OTZ-Chefredakteur Jörg Riebartsch äußerte sich empört: Dass der Politiker Weigelt den OTZ-Lokalreporter Peter Hagen und einen unbeteiligten Passanten „körperlich angegriffen hat, um eine Berichterstattung über sich während des Marktfestes in Lobenstein zu verhindern“, sei eine neue „traurige Eskalation“. Die Redaktion der OTZ, so Riebenstein weiter, lasse sich „auch künftig nicht mit Gewalt einschüchtern“.
Der Medienverband der freien Presse (MVFP) nahm ebenfalls Stellung zu dem Ausraster des ersten Repräsentanten Bad Lobensteins. Phillipp Welte, Sprecher des Vorstandes des MVFP, Journalisten zu bedrohen oder gar körperlich anzugreifen sei das erschreckende Symptom eines Krankheitsbildes in einer Demokratie, zumal wenn diese Aggression von einem gewählten Repräsentanten dieses politischen Systems komme. „Wer einen Journalisten bedroht, bedroht die Demokratie. Wer einen Journalisten schlägt, schlägt die Demokratie. Und eine demokratische Gesellschaft darf solche totalitären Anfälle ihrer gewählten Repräsentanten nicht eine Sekunde tolerieren“, sagte Welte.
Der MVFP mahnte alle politischen Kräfte in Thüringen, diesen sichtbaren Verfall der politischen Kultur in Deutschland nicht hinzunehmen und den Übergriff des Bürgermeisters von Bad Lobenstein mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu ahnden.
Thomas Weigelt, zu diesem Zeitpunkt noch Bürgermeister, verteidigte sich indessen damit, dass der OTZ-Journalist Peter Hagen eine Abneigung gegen ihn pflege und unprofessionell arbeite. Außerdem sei Hagen auf ihn zugestürmt und er habe seine Hand lediglich zur Abwehr gehoben. Das stimmte, wie aus dem Videomitschnitt der Szene eindeutig hervorgeht, nicht. Weigelt betonte: „Ich trete nicht zurück“ und stellte die Gegenfrage, weshalb er das tun solle.
Die hat laut Frankfurter Allgemeiner Zeitung vom 1. September 2022 inzwischen das Landratsamt des Kreises Saale-Orla beantwortet und Thomas Weigelt vorläufig seines Amtes als Bürgermeister enthoben. In sechs Punkten habe Weigelt Dienstvergehen begangen. Unter anderem werden ihm die Diffamierung von Verfassungsorganen, die finanzielle Schädigung der Stadt Lobenstein und der körperliche Angriff auf einen Journalisten vorgeworfen. Aufgrund der Summe und Schwere der Vergehen sei es wahrscheinlich, dass Weigelt der Status eines Wahlbeamten entzogen werde.
So ist die Demokratie schon auf lokaler Ebene in höchster Gefahr
Ein Kommentar von Jürgen Streich
(22. 8. 2022) Wenn es Schule macht, dass gewählte Lokalpolitiker, die mit der Berichterstattung bestimmter Journalisten über sich nicht einverstanden sind, diese körperlich angehen, verletzten, deren Kamerausrüstungen beschädigen oder gar zerstören und dabei sogar Kollateralschäden, wie den, dass sie unbeteiligte Dritte mit in Gefahr bringen, ist die Demokratie schon auf der untersten, der kommunalen Ebene in höchster Gefahr. Sie ermutigen so andere gewaltbereite Menschen Kraft ihres Amtes, ihrerseits Journalisten anzugreifen – mit vielleicht sogar schlimmeren Folgen. Mit solchen Methoden wird Berichterstattung von vor Ort immer schwieriger bis unmöglich – mit allen schlimmen Folgen für die Demokratie. Der Mob würde sich durchsetzen.
Bürgermeister Thomas Weigelt sollte nicht herumlamentieren, er habe Peter Hagen gar nicht berührt, in Wahrheit habe er sich nur gegen den heranstürmenden Journalisten wehren wollen. Die Aufzeichnung der Kamera beweist das Gegenteil: Sie zeigt einen heranstürmenden Bürgermeister, der wütend und zielgerichtet auf die Kamera losgeht. Der Erste Bürger Bad Lobensteins, der auch bereits Verschwörungstheorien verbreitet haben soll, lügt also auch noch dreist. Ihm sei zudem ins Stammbuch geschrieben, dass viele Körperverletzungen begangen werden, ohne dass der Täter sein Opfer berührt. Einem Menschen dessen eigene Kamera ins Gesicht zu stoßen, gehört dazu.
Statt über die angeblich unfaire Berichterstattung zu jammern, sollte Weigelt stattdessen das, was alle in dem Video sehen können, schleunigst zugeben, sich bei Peter Hagen und der OTZ entschuldigen, dem Journalisten ein Schmerzensgeld zahlen (der kann es ja beispielsweise an Reporter ohne Grenzen spenden), die Reparaturkosten für die Kamera übernehmen und unverzüglich zurücktreten. All diejenigen, die letzteres jetzt fordern, haben vollkommen recht. Ein derart unkontrolliert emotional agierender Bürgermeister wie Thomas Weigelt ist nicht weiterhin tragbar, droht, zum schlechten Vorbild zu werden und beschädigt das Ansehen seiner Kommune schwer.
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