Maria Sobetzko hinterlässt viele Spuren
Maria Sobetzko. Foto: Jürgen Streich
„Sie war und ist ein Vorbild, denn sie hat gelebt, woran sie glaubte und wovon sie sprach“, schreibt der Autor und Journalist Jürgen Streich über Maria Sobetzko. Er hat die frühere Seniorenbeauftragte der Stadt Frechen und engagierte Ehrenamtlerin gut gekannt. Am vergangenen Mittwoch ist sie mit nur 62 Jahren verstorben. Ein ganz persönlicher Nachruf. (Zuerst erschienen in der „Frechenschau“ im April 2017.)
„Eines Tages werden wir alle sterben“, sagt Charly Brown zu seinem vierbeinigen Freund Snoopy. „Ja, das stimmt“, antwortet dieser, „aber an allen anderen Tagen nicht.“ Eine Comic-Zeichnung mit diesen Worten aus der berühmten Serie „Peanuts“ stand im Krankenhaus auf dem Schränkchen neben dem Bett, als Maria Sobetzko die Kräfte schwanden und sie am 19. April dort im Alter von 62 Jahren starb.
Mit diesen Sätzen beginnt auch der Text ihrer Todesanzeige. So stark Maria Sobetzko mit der Gewissheit des Todes von Menschen, zuletzt auch ihres eigenen, umging, so gerne lebte sie auch. Und zwar insbesondere mit anderen und für andere. Ihre Familie war ihr heilig, ihre Freunde konnten gesichert auf sie zählen. Durchaus gerne bei Speis´ und Trank, doch insbesondere dann, wenn es wichtig oder gar ernst im Leben wurde.
Ich selbst erlebte das schon vor über dreißig Jahren. Wir hatten uns durch die Aktivitäten ihres Mannes Manusch beim Theater „Harlekin“ kennengelernt und wurden nun auch noch Nachbarn im Frechener Oberdorf. Ich befand mich in einer privat und beruflich schwierigen Umbruchphase. Wie gut taten damals die vielen langen, aber auch die „Auf-einen-Kaffee-zwischendurch“-Gespräche bei Maria und Manusch, deren Rat und Tat, deren freundschaftliche Nähe mir menschliche Wärme und Sicherheit vermittelten.
Rückblickend scheinbar kaum der Rede wert, aber damals für mich wichtig: Ausgerechnet, als ich im Vor-PC-Zeitalter mit der Abgabe meines ersten Buchmanuskriptes aus Aktualitätsgründen unter immensem Zeitdruck stand, stellte meine Schreibmaschine ihre Funktion ein. Verzögerungen hätten den Verlag und mich in ernsthafte Schwierigkeiten bringen können. Doch schneller, als jeder damalige Lieferservice es geschafft hätte, stand Sobetzkos´ Maschine auf meinem Schreibtisch und blieb dort, bis das Buch fertig war. Alles irgendwie wie selbstverständlich. Das war nicht die einzige solche Unterstützung. Fast alle Freundinnen und Freunde könnten solche Anekdoten berichten.
Ebenso auf Maria Sobetzko zählen konnten die vielen Menschen, deren Wohl ihr während ihres Berufslebens anvertraut war. Von ihrem Schreibtisch im Frechener Rathaus aus, aber ebenso bei zahlreichen Außen- und Vor-Ort-Einsätzen organisierte und realisierte sie zunächst beim Anfang der achtziger Jahre neugeschaffenen städtischen Jugendamt Freizeiten und andere Aktivitäten für junge Menschen, bevor sie sich jahrzehntelang um das Wohl der in Frechen lebenden Seniorinnen und Senioren kümmerte.
Ihre Souveränität bei gleichzeitiger Zurückhaltung auch in schwierigen Situationen hat mich immer sehr beeindruckt. Aus eigener Anschauung kannte ich diese Fähigkeit von ihr von den Heiligabendfeiern, die die Stadt Frechen für Menschen ohne Angehörige, mit denen sie das Fest der Liebe verbringen können, seit Jahrzehnten durchführt. Ob bei diesem emotionsbeladenen Beisammensein ein Streit geschlichtet werden oder ein Notarzt her musste, der Backofen kaputt oder die angelieferte Suppe sauer war, bei der Abholung und Rückbringung der Gäste Schneechaos herrschte, jemand „et ärme Dier hatt´“ oder sonstwelche Sonderbetreuung nötig war – immer wirkte Maria hinter den Kulissen effektiv und hielt die Fäden in der Hand. Sie packte selbst mit an und delegierte geschickt. Für diese Arbeit erhielt das von ihr geführte „Heiligabend-Team“, dessen Vor- und Nachbereitungstreffen im Hause Sobetzko stattfanden, im Jahr 2002 die Ehrengabe der Stadt Frechen. Die Kölnische Rundschau schrieb damals: „Engel kämpfen gegen weihnachtliche Einsamkeit“.
Dabei verzichtete die praktizierende Katholikin Maria für diese von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern hochgeschätzte Arbeit im Sinne der Nächstenliebe Jahr für Jahr darauf, Heiligabend gemeinsam mit ihrer Familie feiern zu können. Doch ihre Liebsten wussten, wofür sie es tat, standen dahinter und brachten sich selbst immer wieder mit ein.
Maria Illig, wie sie mit Geburtsnamen hieß, war gemeinsam mit zwei leiblichen und drei adoptierten Geschwistern in Buschbell aufgewachsen und wohnte seit ihrer Eheschließung mit Manusch Sobetzko im Frechener Oberdorf. Ihre drei Töchter sind längst erwachsen, Barbara und Claudia engagierte Grundschullehrerinnen, Monika eine vielseitige Schaulspielerin. Welch Wunder bei dem Vater, der die gute Seele des Hauses am Bahndamm, in dem das Theater „Harlekin“ seine Heimat hat, seit dessen Eröffnung ist.
Als Maria Sobetzko vor gerade einmal zwei Jahren in den Ruhestand verabschiedet wurde, hinterließ sie ein ausgesprochen gut bestelltes Feld. Wie hoch sie geschätzt wurde, kann man insbesondere von älteren Frechener Bürgerinnen und Bürgern hören, die die Früchte ihrer Arbeit nicht zuletzt auch im Zusammenhang mit ihren eigenen Alltagsnöten und –sorgen kannten. Vielleicht konnte sie auch etwas leichter vom Beruf loslassen, weil sie ihre Kolleginnen, die ihre Arbeit im Rathaus fortführten, sehr schätzte und sie wusste, dass die ihr ans Herz gewachsenen Dinge weiterhin in besten Händen waren.
Dabei war ihr der Begriff Ruhestand schon zuvor ein Fremdwort. Seit ihrer Jugendzeit hatte sie sich in der katholischen Jugendarbeit, später dem Familienkreis und anderen Gruppen engagiert. So lag es nahe, dass sie die scheinbar neu hinzugewonnene Zeit ihrer Familie und ehrenamtlichen Tätigkeiten widmen würde. Und wie sie das tat! Obwohl sich erste Krankheitszeichen kurz nach ihrer Pensionierung gezeigt hatten und die Behandlung kompliziert und aufwendig war, packte sie bei der Flüchtlingshilfe an. Sie sah in jedem Menschen, der – aus welchen Gründen auch immer und ungeachtet seiner Abstammung und Religion – Hilfe benötigte, einen Nächsten und handelte danach. So leitete sie 2016 zunächst die Kleiderausgabe in der Halle des Gymnasiums und übernahm im November die Organisation des neu eröffneten Sozialwarenhauses.
Das tat sie, solange es ihre Gesundheit zuließ. Noch im Winter hatte es so ausgesehen, als wenn die langwierige und kräfteraubende Behandlung tatsächlich zu ihrer Gesundung führen würde. Doch dann gab es einen Rückschlag, von dem sie sich nicht mehr erholte. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sozialwarenhauses schrieben, „dass Frechen mit dem Tod von Maria Sobetzko eine Persönlichkeit verliert, die sich durch ihr berufliches und ehrenamtliches Engagement unvergesslich verdient gemacht hat.“ Am besten könne man ihr danken und Achtung erweisen, indem man ihr Werk fortführe. Und: „Sie wird in dieser wichtigen Aufgabe weiterleben.“
Ganz sicher. Sie hinterlässt viele Spuren. Sie war und ist ein Vorbild, denn sie hat gelebt, woran sie glaubte und wovon sie sprach.
Nach meiner letzten Begegnung mit Maria fiel mir das Ende eines meiner Lieblingsbücher ein – „Watership Down“ von Richard Adams. Es ist die Erzählung von einem vor der Vernichtung seiner alten Heimat geflohenen Kaninchenvolk auf der Suche nach einer neuen Heimat. Doch nach einer entbehrungs- und konfliktreichen Wanderung, während der sie ihren Feinden widerstanden und neue Freunde gwonnen hatten, erreichten sie das gelobte Land. Nachdem er sich zur Ruhe setzen und das Erreichte einige Zeit lang genießen konnte, legt sich einer der beiden Anführer, Hazel, erschöpft ins Gras. Er schaut den jungen Kaninchen, die lebendfreudig auf der Wiese vor ihren Bauten spielen. Dann erkennt Hazel schemenhaft ein schwarzes Kaninchen, das schwerelos vom Himmel herab zu ihm springt und ihn fragt, ob er mit ihm kommen wolle. Er habe alles getan, damit es Seinesgleichen gut gehe und müsse sich um deren Zukunft keine Sorgen machen. Als Hazel aufsteht und mitgeht, lässt er seinen Körper liegen und spürt, wie seine Kraft in die Jungen übergeht.