»Ich schwöre, so wahr mir Gott helfe«

»Ich schwöre, so wahr mir Gott helfe«

Kardinal Woelki, Kirchenaustritte und die aktuellen Kölner Ereignisse

Der Teufel (r., Ozan Akhan) will in der Kölner „Stunksitzung“ 2023 von seinem Handlanger Kardinal Rainer Maria Woelki ((l. Günter Ottemeier) wissen, weshalb der es noch immer nicht geschafft hat, dass alle Katholiken im Erzbistum Köln aus der Kirche ausgetreten sind. Sogar im Publikum wittert er noch welche. Foto: Screenshot, „Lange Kölner Stunksitzung 2023, WDR

Ein Kommentar von Dr. Michael Schäfers

522.821 Katholik*innen haben laut Deutscher Bischofskonferenz im letzten Jahr ihren Austritt aus der Kirche erklärt. Damit wurde das bisherige Rekordjahr 2021 mit 359.338 nochmals deutlich überschritten. Im Erzbistum Köln allein haben 51.345 Menschen ihrer Kirche den Rücken gekehrt. Deutlich über dem bundesweiten Durchschnitt. Seitdem tobt eine heftige Auseinandersetzung über die Deutungshoheit der Austrittszahlen. Welchen Anteil haben allgemeine Tendenzen, wie der Rückgang des Glaubens? Welche Gründe sind dem Versagen der kirchlichen Amtsträger anzulasten?

Während in anderen Bistümern die Kommentierung der Zahlen Chefsache war, deutete nicht Kardinal Woelki für sein Erzbistum Köln die Zahlen, sondern überließ dies dem Leiter der Hauptabteilung Seelsorge / Personal, Milke Kolb. Der sieht die Hauptgründe in konkreten »negativen Erfahrungen, Wut und Enttäuschungen«, aber auch »Frust über Menschen, die für die Kirche stehen und diese repräsentieren«. Hierfür habe er Verständnis. Der Name seines obersten Dienstherrn Woelki fiel natürlich nicht…

Der Exodus und Kardinal Woelki

Die Gründe für den Exodus aus der katholischen Kirche sind vielfältig, aber Woelki hat seinen Anteil daran, ist er doch der führende »Repräsentant« des verstockten, uneinsichtigen und reformunwilligen Teils der kirchlichen Amtshierarchie, die immer mehr Menschen aus der Kirche treibt. An der Basis gärt es ob der krassen Fehleinschätzung der Brisanz der Lage. Norbert Caßens, engagierter Pfarrer in der Pfarrei St. Martin in Nottuln im einst katholisch geprägten Münsterland, beobachtet, »dass immer mehr Menschen austreten, die aus der ‚Mitte‘ des aktiven Pfarrlebens kommen und die zum Teil auch weiterhin ehrenamtlich aktiv sind und auch hin und wieder zur Messe kommen und teilweise auch die Kommunion empfangen.« Die, die das gemeindliche Leben vor Ort aktiv tragen, verabschieden sich, aber keineswegs von ihrem sozialen Engagement. Sie wechseln die Betätigungsfelder, wollen aber dennoch nicht ganz die Kontaktflächen zu ihrer Gemeinde verlieren. Christliche Werte lehnen sie keineswegs ab und ihren Glauben haben sie auch nicht verloren, wie die Fundamentalisten und Konservativen in der Kirche nicht müde werden zu betonen. Caßens zu den Gründen, die er in Gesprächen bei den Ausgetretenen ausmacht: »Als Ursache benennen sie die ‚Großwetterlage‘: Die als stockend empfundene Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der Kirche, den mangelnden Willen zu tiefgreifenden Reformen, besonders wenn es um die Verteilung von Macht in der Kirche geht, oder einfach auch den Kölner Kardinal Woelki als Prototyp einer Kirche, die sie überwunden wissen wollen.« Selbst bei Austritten aus der evangelischen Kirche wird Woekli als Grund benannt. Man mag dies für eine konfessionelle Desorientierung und fehlendes Wissen halten, mehr jedoch wird darin deutlich: Der Kölner Kardinal ist zum Prototyp eines konfessionsübergreifenden »Typus« kirchlicher Repräsentanz geworden, der weit über die Grenzen des Erzbistums Köln und seiner eigenen Kirche hinaus auf tiefe Ablehnung stößt.

Razzia im Bischofshaus (und anderswo): Verdacht auf Meineid

Die jüngsten »Kölner Ereignisse«, insbesondere die umfangreiche Razzia der Staatsanwaltschaft Köln wegen des Verdachts auf Meineid des Kardinals, bei der umfangreiche Unterlagen und elektronische Daten, auch Handy und Laptop von Woelki, beschlagnahmt wurden, bringen für viele nun endgültig das Fass zum Überlaufen. Hintergrund: Vor dem Landgericht in Köln im März d. J. hatte Woelki bestritten, von Missbrauchsvorwürfen gegen einen von ihm im Jahr 2017 beförderten Priester gewusst zu haben. Dem WDR liegt in Kopie ein Schreiben vor, indem Vorwürfe gegen den beförderten Priester genau beschrieben werden. Dieses hat Woelki unterschrieben, will es aber nicht gelesen haben bzw. sich nicht mehr an Einzelheiten erinnern können. In einem weiteren Brief an den Vatikan, unterzeichnet vom damaligen Offizial des Erzbistums Köln, Günter Assenmacher, findet sich folgender Satz: »(…) wie vereinbart habe ich ein Dossier zusammengestellt, das der Herr Kardinal mit einem Begleitschreiben über die Nuntiatur an die Glaubenskongregation auf den Weg gebracht hat, mit der Bitte um weitere Weisungen.« Nach Aussage Assenmachers hat Woelki den Brief dann persönlich auf den Weg gebracht, was als aktive Beteiligung am Vorgang zu werten ist. Vor dem Kölner Landgericht war Woelki nach seiner Befragung vereidigt worden und sagte: »Ich schwöre, so wahr mir Gott helfe.« Statt Gott hilft nun die Staatsanwaltschaft, Licht ins Dunkel zu bringen. Dass es um mehr als einen »Anfangsverdacht« geht, belegt schon allein der Umfang der Durchsuchungen.

Woelki erklärte, die Durchsuchungen seien unverhältnismäßig und überflüssig gewesen, sei er doch jeder Zeit bereit, umfänglich mit den Behörden zu kooperieren und zur Aufklärung beizutragen. Diese Behauptung ist mehr als fadenscheinig. Denn dann hätte Woelki, nachdem dem WDR die Kopien des Schreibens vorlagen, die Originale der Staatsanwaltschaft selbst aushändigen können. Das hat er nicht getan. Warum nur?

Weiterhin: Schuldsuche bei anderen

So bleibt Woelki seinem Reaktionsmuster der Schuldsuche bei anderen treu. Durch seinen Anwalt Björn Gercke ließ er Anzeige wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses bei der Kölner Staatsanwaltschaft erstatten. Diese bezieht sich auf die Medienpräsenz zum Zeitpunkt der Razzia im Erzbischöflichen Haus in der Kölner Innenstadt. Der Termin sei an die Presse »durchgestochen« worden, was unzulässig und strafbar sei. Von dem Vorwurf nahm sein Anwalt ausdrückliche die Staatsanwaltschaft und die Spezialkräfte aus und verwies auf vermutete undichte Stellen bei den an dem Einsatz beteiligten Polizist*innen. Dass es auch eine andere Version geben könnte, kommt Woelki und Gercke nicht in den Sinn. Vor Ort brauchte es offensichtlich längere Zeit, bis der Kardinal den Einsatzkräften persönlich die Eingangspforte öffnete. In der Nähe befindliche Taxifahrer wurden schon bei der geballten Sammlung der Einsatzkräfte am Börsenplatz darauf aufmerksam, dass »etwas beim Woelki im Busch« war. Gute Kontakte der Presse zu Taxifahrern sind bekannt. Wie auch immer, auch hier werden die Gerichte Licht ins Dunkel bringen müssen…

Das Maß ist voll!

Nicht nur unter den Katholik*innen der Basis im Erzbistum Köln und darüber hinaus kocht es angesichts der aktuellen »Kölner Ereignisse« weiter. Das Maß ist voll! Der SPD-Landtagsfraktionschef, der Kölner Jochen Ott, hat auf den Punkt gebracht, was seit langem überfällig ist, viele denken und längst fordern. Ott: »Ein glaubhafter Neustart im Erzbistum ist wohl nur ohne Kardinal Woelki denkbar.» Ihn bestürze, so Ott weiter, »mit welcher Gleichgültigkeit der Kardinal die Massenflucht der Katholiken aus der Kirche offenbar« behandle. Da engagierte Christen mit ihrem sozialen Engagement viele Initiativen in den Kommunen trügen, nun aber die Kirche verließen, stünden diese vor dem Aus. Viele seien frustriert und ermüdet angesichts des Umgangs der Bistumsspitze mit den Missbrauchsfällen. Kurz: Viele sind des Kardinals nun aufgrund der jüngsten Ereignisse, seines halsstarrigen Agierens, der Gerichtsprozesse und des angerichteten Schadens endgültig überdrüssig.

Lehrreiche Geschichte?

Es gab Zeiten, da trieben die Kölner Bürger*innen ihre Kirchenoberhäupter vor die Stadtmauern, um sie zur Läuterung zu zwingen, um Schaden von Volk, Kirche und der »Heiligen Stadt Köln« abzuwenden, – nicht zuletzt um der Geschäfte willen mit der zahlungskräftigen Pilgerschar der wirtschaftlich umzumünzenden Heiligen Drei Könige… Ihr Umgang mit ihren Kirchenfürsten und Bischöfen blieb respektvoll und auf Reue bedacht, aber bestimmt. Irgendwann war es dann einfach genug. Geschichte wiederholt sich nicht, aber lehrreich bleibt sie doch. Amtsverzicht wäre heute seitens des amtierenden Kardinals eine vorbeugende »Selbstmaßnahme« zum eigenen Schutz, um Schaden von der Kirche abzuwenden und um den Weg für einen Neuanfang frei zu machen, damit endlich wieder Ruhe einkehrt. Köln hat viele Bischöfe ehrenvoll begraben, Köln hat ihnen ehrende Grabstätten errichtet, gut, einigen auch nicht… Am Ende war dennoch irgendwie Friede. Und dann war Neuanfang. Wenige der halsstarrigen Kirchenfürsten und Bischöfe von »Gottes Gnaden« erkannten in auswegloser Situation allerdings, dass nur ein Rückzug die beste und letzte Option für sie und das Volk war. Sie blieben uneinsichtig. Quo Vadis Woelki…?


Der Autor

Michael Schäfers, Dr. phil., geb. 1962 in Paderborn. Studium der Katholischen Theologie, Soziologie, Politologie und Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Paderborn, Bielefeld und Münster. Referent für Politik und Strategie beim Bundesvorstand der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung in Köln.

Zahlreiche Veröffentlichungen zu kirchenpolitischen Themen. Zuletzt erschienen u.a.: Wie Papst Franziskus Politik macht. Zur Sozialenzyklika „Laudato si“, Köln 2017; Der Vorrang der Arbeit – eingelöst oder nicht? – Die katholische Soziallehre und ihr Spannungsverhältnis zur Praxis der Kirche als Arbeitgeberin, in: Eder / Fey / Joussen, Kirchliches Arbeitsrecht – Aufbruch durch Wagnis, Köln 2023.

Der Autor lebt mit seiner Familie in Frechen-Königsdorf.

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