Auf den Spuren der Freimaurer

Auf den Spuren der Freimaurer

Der Rezensent bei der Lektüre. Foto: Elisabeth Kann

Jürgen Streich empfiehlt „Die Freimaurer“ von John Dickie.

Gleich vorweg: Der deutsche Titel des ansonsten gut übersetzten Buches „Die Freimaurer – Der mächstigste Geheimbund der Welt“ ist reißerisch und irreführend. Der Titel der englischen Originalausgabe, „The Craft – How the Freemasons Made the Modern World“ (auf deutsch etwa: „Das Handwerk – Wie die Freimaurer die moderne Welt gestalteten“) trifft den Inhalt des umfangreichen Werkes wesentlich besser. Denn ungeachtet dessen, dass die Titelwahl des S. Fischer Verlages Wasser auf die derzeit heißlaufenden Mühlen der Querdenker-Bewegung ist, geht es dem renommierten englischen Historiker John Dickie mit seinem Buch darum, mit Mythen, Verschwörungstheorien und Legenden aufzuräumen und den Blick auf das freizuschaufeln, was die Freimaurer wirklich geleistet haben – oder eben auch nicht.

Dickie hat dafür aufwendig recherchiert. Nachdem er in einem Radiointerview die italienische Mafia als „Freimaurerei für Kriminelle“ bezeichnet hatte, wurde er von der englischen Großloge zu einem Gespräch eingeladen. Anschließend trat er eine Weltreise auf den Spuren der Freimaurerei an. Er führte zahlreiche Gespräche und forschte akribisch in Archiven.

Herausgekommen ist dabei ein gut lesbares Buch, das ich jedem an der Geschichte des Westens interessierten Menschen empfehlen möchte. Und all jenen, die sich aus seriöser Quelle über den Bund der Freimaurer, der bei näherem Hinsehen gar nicht so geheim, wenngleich schon ausgesprochen diskret agiert, informieren wollen. In Zeiten, in denen selbst die abstrusesten Behauptungen über soziale Medien und auf anderen Wegen Gehör und Anhänger finden, ist „Die Freimaurer“ ein angenehm unaufgeregtes und doch spannendes Buch.

Der Autor John Dickie zeichnet nach, wie sich der seinerzeit unorganisierte Berufstand der Steinmetze in sogenannten Bauhütten zusammenfand, aber aufgrund seiner Bestrebungen im Sinne der Aufklärung zwischen die Fronten weltlicher und kirchlicher Macht geriet und sich daher zunehmend abschottete. Wodurch wiederum die Mythen von Geheimbündelei und obskurer Machenschaften ebenso entstand, wie die These, die Freimaurer planten die Eroberung der Weltherrschaft. Symbolik und Rituale, die Dickie weitgehend als belanglos beschreibt, trugen dazu bei.

Der Historiker stellt vielmehr klar, dass es das viel gesuchte „Geheimnis der Freimaurerei“ nicht gibt. Er arbeitet stattdessen heraus, wie oftmals prominente Mitlieder der Logen – organisiert oder individuell – auf ihren Wegen Einfluss auf Politik das kulturelle Leben und andere gesellschaftliche Aspekte nahmen. Dabei war nicht alles davon ehrenvoll und manche gerieten beim Streben nach Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit sowie Toleranz und Humanität auch auf Abwege. Doch Dickie zeigt auf, wie Freimaurer bei wesentlichen Entwicklungen die Finger mitunter maßgeblich im Spiel hatten, so unter anderem bei der Entstehung europäischer Nationalstaaten, der französischen Revolution und der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung.

Während die Stimmen, die behaupten, die Freimaurer seien immer noch für die übelsten Verschwörungen auf der Welt (mit)verantwortlich, wieder lauter werden, mehren sich auch die Kritiker, die ihnen vorwerfen, sie würden sich auf alten Lorbeeren ausruhen und nur noch stolz auf große Namen wie Johann Wolfgang von Goethe, Wolfgang Amadeus Mozart, George Washington, Winston Churchill, aber auch Edwin „Buzz“ Aldrin oder Charly Chaplin verweisen.

Doch es kommt Bewegung hinein. Längst gibt es Frauen- und gemischte Logen, kürzlich entstand in Deutschland die Initiative „Freemasons for Future“, die Beiträge zur Lösung drängender Probleme leisten will. Den Anspruch, die Zukunft der modernen Welt mitzugestalten, haben die Freimaurer offenbar nicht aufgegeben.

LESEPROBE

Historisch gesehen mag die Freimaurerei weltweit Symbole aus anderen Kulturen gestohlen haben, um sie in ihre Zeremonien einzubauen, aber die Logen haben immer wieder bewiesen, dass sie auch Wiegen des kulturellen Dialogs sind. (…)

Selbst diejenigen unter uns, die nicht im Traum daran denken würden, einer Loge beizutreten, können einiges lernen, wenn sie die Geschichte aus der Sicht der Freimaurer betrachten. Globalisierung und Internet zwingen uns, ein fundamentales menschliches Bedürfnis neu zu denken und neu zu definieren: Gemeinschaft. Dieser Tage stünde es in unserem Streben nach Wohlstand vielleicht gut zu Gesicht, nachzusinnen über die tragikomische Geschichte einer Gemeinschaft, entstanden in einer anderen Zeit, die einige unserer kostbarsten Ideale zu leben versuchte.

John Dickie, „Die Freimaurer – Der mächtigste Geheimbund der Welt“, übersetzt von Irmengard Gabler, S. Fischer, Frankfurt a. M., 2020, 544 S., 26 Euro

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