„Der stumme Frühling“ – Ein Ökoklassiker wurde 60

„Der stumme Frühling“ – Ein Ökoklassiker wurde 60

Vorbemerkung vom 18. August 2022: Die nachfolgende Rezension habe ich vor 30 Jahren aus Anlass des Erscheinens von „Der stumme Frühling“ vor damals 30 Jahren in der Hörfunksendung „Sachbuchecke“ des WDR-Hörfunks veröffentlicht. Ich musste an der Besprechung jetzt außer einer Ergänzung nichts verändern, denn manche Dinge haben sich in der Zwischenzeit zwar verbessert, andere sich aber auch verschlechtert. Stichworte sind Agrarchemikalien, insbesondere Glyphosat, das laut Weltgesundheitsorganisation als krebserregend gilt und Nahrungsquellen von Insekten zerstört. Oder die Plastiverseuchung der Meere, Regenwaldrodungen in großem Stil, Zubetonierung der Landschaft, klimarelevante Abgase etc. pp. „Der stumme Frühling“, von der Biologin und Schriftstellerin Rachel Carson (1907 – 1964), die sich zuvor schon weltweite Anerkennung mit den Büchern „Geheimnis des Meeres“ und „Am Saum der Gezeiten“ verschafft hatte, exzellent geschrieben, gilt als das erste Umweltbuch überhaupt und als „Ouvertüre der amerikanischen Umweltbewegung“. Es ist auch nach 60 Jahren, die es nun auf dem Markt und immer noch lieferbar ist, zu einem nach wie vor lesenswerten Ökoklassiker geworden. Lesen Sie selbst:

Die unheimliche Stille nach dem Ökozid

Sendung in WDR 1 vom 14. Februar 1992:

Es herrschte eine ungewöhnliche Stille. Die wenigen Vögel waren dem Tode nah: sie zitterten heftig und konnten nicht mehr fliegen. Auf den Farmen brüteten Hennen, aber keine Küken schlüpften aus. Die Apfelbäume entfalteten ihre Blüten, aber keine Bienen summten zwischen ihnen umher. Die Landstraßen waren von braun und welk gewordenen Pflanzen eingesäumt, als wäre ein Feuer über sie hinweg gegangen. Selbst in den Flüssen regte sich kein Leben mehr.

Unwillkürlich werden die Leserin oder der Leser dieser Zeilen an die Gegenden um Seveso, Bhopal oder Tschernobyl erinnert. Doch die Beschreibung ist rein fiktiv. Vor genau 30 Jahren (jetzt natürlich 60, Anm. JS.) ist sie als Einleitung des Buches „Der stumme Frühling“ erschienen. Der Klassiker der 1964 verstorbenen amerikanischen Biologin Rachel Carson ist oft als erstes Umweltbuch schlechthin bezeichnet worden. Tatsache jedenfalls ist, dass er bis heute nichts von seiner Stichhaltigkeit eingebüßt hat.

„Kein böser Zauber“, kein feindlicher Überfall hatte in dieser verwüsteten Welt die Wiedergeburt neuen Lebens im Keim erstickt. Das hatten die Menschen selbst getan“, erklärte die Autorin ihr Szenario und gab zu bedenken: Jede einzelne der von ihr beschriebenen Ökokatastrophen ist schon irgendwo einmal geschehen. Zur Erinnerung: „Der stumme Frühling“, dessen Text vorab als Serie in der renommierten Zeitschrift „The New Yorker“ erschienen war, ist 1962 – vor 30 Jahren – als Buch erschienen, ein Jahr später in Deutschland. Die Ausgabe des Münchener C. H. Beck Verlages hat es bisher auf eine Auflage von 122.000 Exemplaren gebracht.

(Musikunterbrechung)

Auch die Erkenntnis, dass in der Absicht, den Menschen zu nutzen, Chemikalien wie DDT und E 605 über die Nahrungskette letzten Endes deren eigene Körper erreichen und schädigen, geht auf Rachel Carson zurück.

(Musikunterbrechung)

Die Biologin und Schriftstellerin Rachel Carson

Knapp 20 Jahre, bevor in den westlichen Demokratien grüne Parteien gegründet wurden, sah die Biologin den „unheimlichsten aller Angriffe des Menschen auf die Umwelt“ in der „Verunreinigung von Luft, Erde, Flüssen und Meer mit gefährlichen, ja tödlichen Stoffen“ und war schon damals der Ansicht, dass sich „dieser Schaden größtenteils nicht wiedergutmachen“ ließe. – Schwarzmalerei einer Einzelkämpferin? Im Gegenteil: Anegsichts der beängstigenden Ergebnisse der NASA-Untersuchung über die Ozonschicht fast prophetische Voraussicht.

Im Jahr der Kuba-Krise, als die Supermächte durchschnittlich jede Woche eine Atomwaffe in der Atmosphäre zündeten, wies Rachel Carson darauf hin, dass das dabei entstehende künstliche Element Srontium 90 in die Körper der Menschen gelange, um in den Knochen bis an deren Lebensende zu strahlen. Heute ist Strontium 90 selbst im Eis der Antarktis nachweisbar. Die Chemikalien, mit denen die Menschen ihre Umwelt darüber hinaus verseuchen, seinen „unheimliche und kaum erkannte Helfershelfer der Strahlung.“ Wie wahr: Die Abwehrkräfte der Kinder von Harrisburg und Tschernobyl gegen Umwelteinflüsse sind ausgesprochen schwach.

Auch die Erkenntnis, dass in der Absicht, den Menschen zu nutzen, Chemikalien wie DDT und E 605 über die Nahrungskette letzten Endes deren eigene Körper erreichen und schädigen, geht auf Rachel Carson zurück.

(Musikunterbrechung)

Lohnt es sich für am Umweltschutz interessierte Menschen, Rachel Carsons „Der stumme Frühling“ zu lesen? So richtig die Mahnungen der Amerikanerin auch gewesen sein mögen, ist es nicht sinnvoller, sich mit aktuellen Fakten und Entwicklungen zu beschäftigen?

„Der stumme Frühling“ bleibt aus zwei Gründen ein ganz heißer Lesetipp: Erstens ist es der Autorin gelungen, ihre Warnungen anhand von Beispielen derart anschaulich zu begründen und das Ganze nur dort mit Zahlen zu belegen, wo es unumgänglich war, dass ihr Buch auch für Leser verständlich und interessant ist, die in Ökofragen keine Vorkenntnisse besitzen.

Und zweitens macht gerade die Tatsache, dass es zu einem Zeipunkt erschienen ist, als Umweltschützer noch als vereinzelte Spinner abgetan wurden, sein Inhalt aber bis heute unwiderlegt ist, den „stummen Frühling“ zur wertvollen Argumentation für entschlossenere Umweltschutzmaßnahmen. Es ist der gedruckte Beweis dafür, dass kein Verantwortlicher sich damit herausreden können wird, er habe es nicht wissen können.

Bei alledem ist „Der stumme Frühling“ keine frustrierende Lektüre. Vielmehr ist er ein Plädoyer für einen anderen Umgang mit der belebten Natur. „Wir sollten uns nicht länger von Leuten beraten lassen, die uns weismachen wollen, dass wir unsere Welt mit giftigen Chemikalien durchsezen müssen. Wir sollten vielmehr Umschau halten und sehen, welcher Weg uns sonst noch offensteht“, mahnt Rachel Carson. So ist ihr Buch auch eine Argumentation für biologisch-dynamischen Landbau, die sie vorlegte, als es den Begriff noch gar nicht gab.

In der Werbung wird mit dem Begriff „Penetration“ das Prinzip bezeichnet, dass dauernd wiederholte Produkt- und Personennamen, aber auch Zusammenhänge sich ins Bewusstsein der Menschen einprägen. Das sich ein Umweltbewusstsein seit Anfang der sechziger Jahre ausgebreitet hat, ist nicht zu leugnen. Bücher wie „Der stumme Frühling“ wurden und werden also nicht umsonst geschrieben. Wenngleich das Wissen um ökologische Zusammenhänge immer noch viel zu wenig in konkretes Handeln umgesetzt wird.

(Musikunterbrechung)

In der „Sachbuchecke“ stellten wir vor: „Der stumme Frühling“ von Rachel Carson. Der 350 Seiten starke Band ist im Münchener C. H. Beck Verlag erschienen und kostet 19,80 DM (Paperback-Ausgabe inzwischen 16,95 €)

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