Israel: Entmachtung des Obersten Gerichtes verabschiedet
Massive Proteste – Einsprüche eingereicht – Schwere Unruhen befürchtet
Als einen „Verstoß gegen die Gewaltenteilung“, die in einer funktionierenden Demokratie unabdingbar ist, bezeichnen Opposition und Protestierende den heute mit 64 von 120 Stimmen in der Knesset verabschiedeten Teil der israelischen Justizreform, der das Oberste Gericht quasi entmachtet. Es darf fortan keine Gesetze und kein Regierungshandeln mehr als unangemessen zurückweisen oder unterbinden. Es wird befürchtet, dass dem selbst radikalisierten Premierminister Benjamin Netanyahu und seinen teils offen rechtsradikal und ultrareligiös agierenden Ministern nun kaum noch Grenzen gesetzt und Positionen nach Gutdünken der Regierung besetzt werden könnten. Da Israel über keine Verfassung verfügt, gibt es eine Reihe schwer zu ändernder oder gar zu kippender Grundgesetze. Das heute verabschiedete Gesetzt gehört dazu.
Noch ist es nicht in Kraft. Würde das Oberste Gericht es annehmen, käme das der Hinnahme einer historischen Niederlage gleich. Lehnt das Gericht das Gesetz jedoch ab, müsste Netanyahu seine Minister entlassen, zurücktreten und Neuwahlen ausschreiben. Täte er das nicht, käme das einem Bruch der bestehenden Rechtsordnung durch die Regierung gleich. Beobachter befürchten für den Fall Ausschreitungen bis hin zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Zudem könnte die Gewerkschaft zum Generalstreik aufrufen. Israel steht, soviel scheint sicher, eine sehr unruhige Zeit bevor.
15.000 Reservisten haben für den Fall, dass das Gesetz in Kraft tritt, angekündigt, ihren Dienst nicht mehr anzutreten. Reservisten sind in Israel, anders als in Deutschland, teils hochqualifizierte Soldaten wie etwas Piloten, die hauptsächlich in einem Zivilberuf, quasi in Teilzeit aber auch für das Militär arbeiten. Insbesondere die Luftwaffe könnte ohne sie kaum funktionieren. Doch auch diese erhebliche Schwächung der israelischen Streitkräfte inmitten der angespannte Lage in Nah- und Mittelost ist Premierminister Benjamin Netanyahu bereit, hinzunehmen.
Der Regierungschef soll von rechten und radikal-religiösen Vertretern zu der Justizreform gedrängt worden sein. Doch Netanyahu selbst kam eine Schwächung der Gerichtsbarkeit durchaus gelegen. Schon länger fand er, die Justiz mische sich zu sehr in die Politik ein. Außerdem ist er persönlich wegen Korruption in drei Fällen angeklagt.
So wir bereits befürchtet, die Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara könnte zum ersten Opfer der Justizreform werden. Sie besteht nämlich darauf, die Prozesse gegen den Premierminister fortzusetzen. Dass sie es durchaus ernst meint, hat sie bewiesen, als sie Netanyahus Pläne mit seinem rechtsradikalen Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir durchkreuzte.
Gegen die Justizreform haben bereits die Ärztevereinigung und die Anwaltskammer Einspruch eingelegt. Oppositionsführer Jair Lapid hat eine zeitnahe Petition gegen „die einseitige Aufhebung des demokratischen Charakters des Staates Israel“ angekündigt.