Nachruf auf Papst Franziskus

Nachruf auf Papst Franziskus

Erwählt aus Barmherzigkeit

Von Dr. Michael Schäfers

»Miserando adque eligendo«- »Aus Barmherzigkeit erwählt« – das war der Wahlspruch des am Ostermontag verstorbenen Papstes Franziskus. Nicht zur Papstwahl hatte er sich diesen erwählt, sondern aus seiner Zeit als Erzbischof von Buenos Aires mit nach Rom gebracht. Barmherzigkeit war eines der zentralen Themen seines Pontifikats.


Papst Franziskus in seinem Element – unter Menschen. Foto: pixabay / Manfred Kindlinger

Barmherzigkeit allerdings nicht als »caritativer Weichspüler«, sondern als Kampfansage an all‘ diejenigen, die die Armen und Ausgestoßenen mit Gleichgültigkeit, Verachtung und eben Unbarmherzigkeit in ihrem Elend alleine lassen. Die Analyse von Franziskus war radikal. Zum »Welttag der Armen« 2019 sprach der Papst von der »menschlichen Mülldeponie« und der »neuen Sklaverei«. Migranten, Flüchtlinge, Obdachlose, arbeitssuchende Jugendliche und Prostituierte würden zu neuen Sklaven durch eine gnadenlose und kurzsichtige Wirtschaftspolitik gemacht und als »Parasiten der Gesellschaft« angesehen. Ausgebeutet und schikaniert betrachte man sie als Abfall, als menschlichen Müll. Den »Schrei der Armen« gelte es zu hören und zu handeln – sozial, gesellschaftlich und wirtschaftlich. Und dies nicht nur durch Barmherzigkeit und Zuwendung, sondern durch strukturelle Veränderungen, durch soziale Gerechtigkeit. Unvergessen sein Satz in seinem Apostolischen Schreiben »Evangelii Gaudium« von 2013: »Diese Wirtschaft tötet.« Gleich zu Beginn seines Pontifikats ein Paukenschlag ohnegleichen.

Wo Menschen ausgegrenzt und zu Müll durch die kapitalistische Wirtschaftsweise gemacht werden, erhob Franziskus, wie kein anderer Papst vor ihm, die Stimme, gelegen oder ungelegen, in einer Deutlichkeit, die nichts zu wünschen übrigließ. In sozialen Fragen blieb sein Vorgänger aus Deutschland Papst Benedikt XVI. eher schwach. Franziskus rüttelte auf, griff an und polarisierte. Wer sich gegen die Mächtigen dieser Welt stellt, muss damit rechnen, dass ihm ein harter Gegenwind entgegenbläst. Franziskus war sich dem voll bewusst.

An Gegnern fehlte es diesem Papst nicht. Da waren und sind die mächtigen amerikanischen Kreise der Erdölindustrie und ihrer Institute, die alle Register zogen, um die Ökoenzyklika »Laudato si« zu verhindern, in der der Papst u.a. die Wegwerfkultur geißelte. So wie wir die Dinge einfach wegwerfen, so auch die armen Menschen, die besonders unter dem menschengemachten Klimawandel zu leiden hätten. Die Verursacher machte er dingfest: die reichen Länder des Nordens mit ihren tödlichen Wirtschaftsinteressen. Die Wirtschaftsmächte klagte er an, Spekulation und finanziellen Ertrag blind zu verfolgen und die Menschenwürde und Umwelt zu ignorieren. Eine ganzheitliche Ökologie sei demgegenüber das Gebot der Stunde. Die Politik dürfe sich nicht der Wirtschaft unterwerfen und dem technokratischen Paradigma folgen. Auch so ein Paukenschlag gleich zu Beginn seines Pontifikats. Ein Grüner in Rom, das ging vielen quer runter, gerade in den konservativen Kreisen der Katholiken in den USA, die eine medienwirksame Diffamierungskampagne gegen Franziskus starteten. Auf eine Verkündigung des Glaubens solle er sich beschränken und keine »politische Theologie« betreiben. Die Kirche habe sich aus politischen Fragen rauszuhalten. Eine weit verbreitete Auffassung – bis hin zu den jüngsten Äußerungen von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner. Nur das sah Franziskus völlig anders. Den christlichen Glauben zu verharmlosen, das war nicht das Ding von Franziskus. Er wusste um seine Provokationen und setzte sie ein, um aufzurütteln, um die »Option für die Armen“«zu kontextualisieren in den Kämpfen unserer Zeit, zusammen mit den sozialen Bewegungen, die weltweit für Gerechtigkeit kämpfen. Dort fand er oftmals mehr Zuspruch als in seiner Kirche selbst.

Naivität warfen ihm die Kritiker vor in politischen Fragen, vor allem, wo es um Krieg und Frieden gehe. Bezeichnend, dass die Osterbotschaft wenige Stunden vor seinem Tod ein Aufruf zu Frieden und Gerechtigkeit war. Passend für einen, der die Profiteure der Kriege anklagte: »Manchmal denke ich auch an den Zorn Gottes, der sich gegen die Führer der Länder richtet, die über Frieden reden und Waffen verkaufen, um diese Kriege zu führen. Diese Heuchelei ist eine Sünde.« Bei Rheinmetall dürften diese Sätze es nicht zum Wandspruch schaffen, ebenso wenig wie bei Trump, Putin und im Kanzleramt unter Friedrich Merz. Die Ursachen der Kriege wollte Franziskus austrocknen. Wo keine Waffen produziert und verkauft werden, da kann es auch keine Kriege mehr geben. Man mag dies für naiv halten, aber angesichts der verheerenden Kriege auf unserer Welt zumindest ebenso naiv, wie durch Töten, Verwüstung und Zerstörung Frieden herbeibomben zu wollen.

Karikatur: Thomas Plaßmann *

Wenig beachtet in den Nachrufen auf Franziskus ist sein kompromissloses Setzen auf Diplomatie, nicht nur zur Erlangung von Frieden. Die Diplomaten der Vatikanstadt wies er an, aktiv in internationale Verhandlungen einzugreifen. Vormals waren sie allenfalls unter seinen Vorgängern Statisten und passive Teilnehmer gewesen, wenn überhaupt anwesend. Anlässlich der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen bei den Verhandlungen zur Klimakonferenz 2015 in Paris z.B. spielte die Vatikandelegation eine entscheidende Rolle für das Zustandekommen des völkerrechtlichen Vertrags. Da ließ sich Franziskus auch schon mal aus einem Gottesdienst holen, um zum Telefonhörer zu greifen und den Mächtigen ins Gewissen zu reden. Bezeichnend, dass er die Ordensfrau Raffaella Petrini zur Präsidentin des Governatorats der Vatikanstadt noch schnell im März dieses Jahres ernannte und sie ebenso zur Generalsekretärin im Vatikan bestellte, letzteres ein Amt, das bisher von Bischöfen bekleidet wurde. In der römischen Kurie machte er sich damit keine Freunde unter seinen »Mitbrüdern«. Ein Tabubruch, wieder mal.

Die notwendige Kirchenreform unter Papst Franziskus sei nicht vorangekommen, so die einschlägigen Kommentatorinnen und Kommentatoren in diesen Tagen. Ja, das stimmt, aber was wollte man realistisch denn erwarten? Kleine Schritte, zaghafte Veränderungen immerhin. Der weltweite Missbrauchsskandal riss bei Franziskus tiefe Wunden. Da war sie auf einmal, die verbeulte Kirche, die er sich gewünscht hatte, aber in ganz anderer Form als gedacht, nun zurecht auf der Anklagebank sitzend. Eingangs noch eher auf Kompromisse bedacht und darauf, Schaden von der Kirche abzuwenden, änderte Franziskus seinen Kurs im Oktober 2024. Spät, sehr spät, zu spät.

Bei seinem Besuch in Belgien griffen Ministerpräsident De Croo und Belgiens König Philippe Ende September 2024 den Papst scharf an und forderten Aufklärung, die Anerkennung der Gräueltaten und die Opfer kompromisslos in den Mittelpunkt zu stellen. Die Bilder des Besuchs zeigen, wie der Papst körperlich sichtlich in sich zusammenfällt, um Worte ringt, zittert, dann fast sprachlos ist, erneut ansetzt, sich fängt. Ein schockartiger Moment. Danach findet er erst langsam wieder zu sich, spricht von Verbrechen, dass die Kirche sich schämen und um Vergebung bitten müsse. Beim anschließenden Treffen mit Opfern der innerkirchlichen sexuellen Gewalt weint er tief erschüttert. Auf der Rückreise klagt Franziskus über Atemprobleme. Sein Damaskuserlebnis, ein zu spätes, denn danach war für ihn hinsichtlich der dringend notwendigen Konsequenzen aus dem Missbrauchsskandal nichts mehr zu bewirken. Die Kräfte schwinden dramatisch. Ab dem 14. Februar 2025 wird Franziskus in der Gemelli-Klinik in Rom aufgrund einer Lungenentzündung behandelt.

Franziskus wollte die katholische Kirche reformieren. Eine Kirche der Armen sollte sie werden, verzichten auf Privilegien, demütig sollte sie sein, nahe bei den Alltagssorgen der Menschen. Eine dienende Kirche. Seine Strategie dazu war keine kirchenpolitische, sondern eine persönliche, nämlich Vorbild zu sein, bescheiden im Lebensstil, keine große pompöse Wohnung, kein Prunk, Straßenschuhe statt Prada, Mittagssuppe und einfaches Abendessen in der Kantine im vatikanischen Gästehaus »Santa Maria«, Fiat statt Mercedes. In seine Ausgehgewänder ließ er sich Taschen nähen, in denen er Süßigkeiten für die Kinder, die er unterwegs traf, bereithielt.

Jorge Mario Bergoglios Vorbild war das Leben eines einfachen Landpfarrers. Auch damit provozierte er die römischen Kurienkardinäle, die ihm schon im Konklave bei seiner Wahl die Stimme nicht gegeben hatten. Bekehrung durch Vorbild, Kirchenreform durch Beispiel. Gegen den mächtigen Apparat der Kurie, ohne den eine Kirchenreform nicht zu machen ist, musste Franziskus scheitern. Die Krankheiten der Kurie konnte er diagnostizieren, aber strukturelle Heilmittel hatte er nicht parat. Allzu bitter hätte die Medizin denen geschmeckt, die auf ihre Privilegien und ihre Macht hätten verzichten müssen. Für Franziskus war eine grundlegende Kirchenreform schlicht eine Überforderung. Dennoch sollten seine zaghaften Schritte in diese Richtung nicht geringgeschätzt werden, denn es wird sich noch zeigen müssen, ob ein zukünftiger Papst diese überhaupt fortsetzen oder eine Rückabwicklung betreiben wird.

In der Basilika Santa Maria Maggiore will er beigesetzt werden, unweit des Hauptbahnhofs in Rom, eine der vier Papstbasiliken. Sieben Päpste sind dort schon beigesetzt worden. Dennoch wieder so eine Zumutung an die römischen Traditionalisten. Anständige und unanständige Päpste werden eigentlich im Petersdom beigesetzt und monumental verewigt, ehrerbietend hinabschauend auf das durch den Dom pilgernde Besuchervolk.

Die Basilika Santa Maria Maggiore in Rom. Foto: dreamshine

Die letzte Ruhestädte hat Bergoglio gut gewählt, mitten im Trubel der pulsierenden Stadt. Am Brunnen auf der Piazza die Santa Maria Maggiore treffen sich oft Gaukler und Musiker. Touristen warten auf dem Platz bis ihre Züge im Hauptbahnhof zur Abfahrt mahnen. Demnächst werden sich wohl noch längere Schlagen zur Kirchenbesichtigung bilden. Papst Franziskus war als Bischof von Rom bei den Einwohnern beliebt, der „Buona-Sera-Papst“. Hinzu werden viele weitere Besucher aus aller Welt kommen. In seinem letzten Text vom Februar 2025 denkt Papst Franziskus über den Tod nach. „Leben ist Leben, und die Realität zu beschönigen, bedeutet, die Wahrheit der Dinge zu verraten“ – heißt es da. Der Tod sei ein neuer Anfang von etwas, das nicht enden wird. 

Das Pontifikat von Papst Franziskus ist zu Ende. Wer und was kommen wird, ist offen. In stürmischen Zeiten der Kirche wurden oft farblose Päpste gewählt, Verwalter des Glaubens. Dennoch, hoffen wir das Beste. Hoffen wir auf einen „Mann seines Wortes“.

  • Die AUSSICHTEN-Redaktion bedankt sich herzlich bei dem Karikaturisten Thomas Plaßmann für die Genehmigung zur Verwendung dieser treffenden Karikatur.

Der Autor


Michael Schäfers, Dr. phil., geb. 1962 in Paderborn. Studium der Katholischen Theologie, Soziologie, Politologie und Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Paderborn, Bielefeld und Münster. Referent für Politik und Strategie beim Bundesvorstand der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung in Köln (KAB). Zu Schäfers zahlreichen Veröffentlichungen zählen u. a. die Bücher Von der Arbeit zur Tätigkeit – Zeitdiagnosen und Wege wider die Resignation, Wie Papst Franziskus Politik macht – Zur Sozialenzyklika „Laudato si“ und Der Vorrang der Arbeit – eingelöst oder nicht? – Die katholische Soziallehre und ihr Spannungsverhältnis zur Praxis der Kirche als Arbeitgeberin. Inzwischen leitet er das Grundsatz-Referat der KAB. Michael Schäfers lebt mit seiner Familie in Frechen-Königsdorf.

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