„Monsieur Europe“ Jacques Delors gestorben
Für EU-Freunde und -Förderer wird der ehemalige Kommissionspräsident ein großes Vorbild bleiben.
Viele Beobachter bezeichnen Jacques Delors am 11. Dezember 1994 während eines Fernsehinterviews bekanntgegebene Entscheidung, im Präsidentschaftswahlkampf nicht als Kandidat der Sozialistischen Partei gegen Jacques Chirac anzutreten, als seine wichtigste. Die Führung der Sozialistischen Partei (PS) reagierte damals schockiert, denn Delors war zu dieser Zeit der beliebteste Politiker Frankreichs. Mit seiner Aussage aber endete seine Karriere als aktiver Politiker. Seine bedeutendsten politischen Leistungen hatte er da längst vollbracht. Und zwar als Präsident der EU-Kommission.
Jacques Delors 1993 als Präsident der EU-Kommission. Foto: Wikipedia
Jacques Delors war im Juli 1925 in Paris geboren worden. Sein Vater, der bei Kämpfen mit den Deutschen im Ersten Weltkrieg schwer verletzt worden war, bläute ihm ein: „Auch wenn der Groll noch so groß ist, etwas Derartiges darf nie wieder geschehen.“
Nach seinem Jurastudium ging Jacques Lucien Jean Delors, wie er vollständig hieß, zunächst zur Banque de France und engagierte sich bei der christdemokratischen Gewerkschaftsbewegung, die später in der konfessionell ungebundenen CFDT aufging. 1962 wechselte er in das nationale Planungsbüro und wurde 1969 für drei Jahre Berater für Soziales im Büro des gaullistischen Premierministers Jacques Chaban-Delmas, bevor er noch einmal zur Banque de France zurückkehrte. Zudem übte er noch eine Lahrtätigkeit an der Universität Paris aus und organisierte linke Debattierzirkel. Als gläubiger Katholik trat er 1974 der Sozialistischen Partei bei.
1979 wurde er Europaabgeordneter und bekleidete von 1981 bis 1983 das Amt des Finanz- und Wirtschaftministers unter Präsident Francois Mitterand. Anschließend, 1984, wurde er mit Unterstützung Mitterands und des deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl Präsident der EG- bzw. später der EU-Kommission und blieb dies bis 1994.
Bald schon wurde das Schmieden von Kompromissen als „Methode Delors“ bezeichnet. In seine Amtszeit fallen die Unterzeichnung des Maastrichter Vertrages ebenso wie das Schengener Abkommens. Wesentliche Schritte hin zur, wie Delors sie nannte, „Föderation der Nationalstaaten“ wurden unter „Monsieur Europe“ vollzogen. Den Fall der Berliner Mauer verstand er als Herausforderung für den Kontinent, nicht, wie Francois Mitterand, als Bedrohung der Position Frankreichs innerhalb der EU. Auch um den EU-Binnenmarkt und die spätere Einführung der Gemeinschaftswährung Euro machte er sich verdient.
Leider musste der Baumeister eines Vereinigten Europas später dessen Krisen, Anfeindungen und Missbrauch miterleben. Dazu gehörten die frühere Dauerkrise Griechenlands, das Versagen Europas angesichts von Millionen Flüchtlingen aus aller Welt, damit eng verbunden das Erstarken der Populisten und Rechtsextremisten und der Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union. Zudem sah eine zunehmende Anzahl von EU-Skeptikern im Erstarken Europas eine zunehmende Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Nationalstaaten und als Hauptursache für zunehmende Bürokratie.
Im Jahr 2015 wurde Jacques Delors auf einen einstimmigen Beschluss des Europarates hin zum „Ehrenbürger Europas“ ernannt. So sehr er sich über diese Auszeichnung freute, so sehr warnte er vor einer „Zerstörung“ Europas, denn wenn es nur noch um wirtschaftlichen Austausch gehe, sei das europäische Projekt gescheitert.
Jacques Delors starb am Morgen des 27. Dezember 2023 im Alter von 98 Jahren in Paris. Für EU-Freunde und -Förderer wird er immer ein großes Vorbild bleiben.