AUSSICHTEN-Gespräch mit Frank Schätzing

AUSSICHTEN-Gespräch mit Frank Schätzing

„Wir können uns überlegen, welche Zukunft wir haben wollen“


Frank Schätzing hat sich im Souterrain des Hauses, in dem er zwei Etagen höher in der Kölner Südstadt wohnt, einen Arbeitsbereich geschaffen. Hier trafen wir uns Ende März 2023 zum Gespräch. Zuvor vertraute er mir den Phantasienamen, bei wir klingeln sollen, an. Wobei dieser gar nicht wirklich phantasiert ist, sondern… – nein, das verrate ich nicht.

Die Räumlichkeiten sagen einiges über den Autor, der hier arbeitet, aus: Im eher wohnlichen Bereich, in dem ein Konferenztisch steht, befinden sich in Regalen an drei Wänden zahlreiche Bücher. Mein Spruch „Zeig‘ mir deinen Bücherschrank und ich sage dir, wer du bist“, trifft hier eindeutig zu. Hier sind wissenschaftliche Fachbücher ebenso zu finden, wie eine aufschlussreiche Sammlung über Entenhausen. Auf dem Tisch, an dem wir uns unterhalten, steht eine unübersehbare Skulptur von Donald Duck. Drum herum gibt es auch Bücher von Karl May. In dieser Bibliothek befinden sich insbesondere auch Bildbände, die die Schönheit unseres Heimatplaneten Erde zeigen.

Im zweckorientierten Bereich, von dem aus man einen wunderbaren Blick in einen großzügig begrünten Hinterhof mit Kinderspielplatz hat, befindet sich die Technik, mit der Frank Schätzing auf allen digitalen Kanälen recherchiert, kommuniziert und natürlich schreibt. Er habe eine Zeit lang versucht, seine Texte zu diktieren und von der Technik verschriftlichen zu lassen, doch dann habe er gemerkt, dass er genauso schnell schreiben wie denken kann. Das passt genau zu dem, was er einst einem Journalisten, der ihm vorwarf, seine Bücher von vorn herein auf Filmtauglichkeit hin zu schreiben, entgegnete: Es sei genau anders herum, denn in seinem Kopf liefen Filme ab, die er aufschreibe.


Jürgen Streich: Aus aktuellem Anlass: In Deinem Essay zur Jubiläumsausgabe von „Der Schwarm“ beschreibst Du die Entwickungen, die seit seinem Erscheinen eingetreten sind und in einem „Schwarm 2.0“ zwingend hätten berücksichtigt werden müssten. Du selbst wolltest keine neue Version schreiben und kritisierst auch an dem ZDF-Achtteiler, der kürzlich lief und in der Mediathek weiterhin abrufbar ist, dass darin in keiner Weise auf diese Veränderungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft eingegangen wird. Könntest Du Deine Haltung hierzu bitte erörtern.

Frank Schätzing und Jürgen Streich im Gespräch in den Arbeitsräumen des Autors in der Kölner Südstadt. Gesprächsfotos: Kuno Kerbel

Frank Schätzing: Wir haben diese Verfilmung ja ursprünglich gemeinsam in Angriff genommen und wollten das im Team umarbeiten. Wichtig ist ja, dass man ein Buch nicht Seite für Seite abfilmt, sondern dass man aus dem Buch einen guten Film macht. Das filmische Erlebnis steht im Vordergrund. Mein Ansatz war, dass man die Story radikal modernisiert. Der Kern der Story ist ja zeitlos, oder – sagen wir es so – brisanter denn je. Aber die geopolitischen und gesellschaftlichen Begleit- und Rahmenumstände waren in den nuller Jahren natürlich anders als in den Zwanzigern. Da es ja kein historischer Roman ist, in dem man explizit das Zeitkolorit noch einmal transportieren will, war mein Ansatz, ganz stark davon auszugehen von dem, was wir heute haben, also wie ist die Geopolitik heute, wie sind die gesellschaftlichen Verwerfungen, wie wird das ganze Thema Klimaschutz, ökologische Transformation heute wahrgenommen. Das auch vor dem Hintergrund, dass es, als ich das Buch geschrieben habe, noch nicht einmal Social Media gab. Es gab kein Facebook, es gab kein Instagram, es gab das alles überhaupt nicht…

JS: … keine Smartphones…

FS: Stimmt, die gab es auch nicht. Das hat ja die Situation völlig verändert, und es wäre mein Ansatz gewesen, das stärker in die Jetztzeit zu transportieren und zu sagen, guck mal, das ist ja noch brisanter denn je. Und trotzdem hättest Du die Figuren, dieses ganze Szenario, diese Tiefsee in Gänze so erzählen können. Das ist halt ausgeblieben. Ich finde, dass das Ganze Thema nachhaltige Transformation, der ganze große gesellschaftliche Wandel, den wir brauchen, so wichtig ist, dass es natürlich eine Chance gewesen wäre, das da einzubauen. Das blieb aus und aus diesen und ein paar dramaturgischen Gründen – mir ist das Ganze zu seifenoprig – ist das jetzt nicht so ganz mein Ding. Aber man muss dem ZDF trotzdem das große Kompliment machen, dass sie es geschafft haben, diese Riesenserie auf die Beine zu stellen. Das ist nicht einfach und man kann dazu natürlich unterschiedlicher Auffassung sein.

JS: Gespart haben die jedenfalls nicht.

FS: Genau, 44 Millionen Euro, von denen ich wohl nicht immer weiß, wo die geblieben sind, wenn ich es mir anschaue. Aber es ist schon okay.

JS: Du sagst, dass Du den „Schwarm“ seinerzeit zur Unterhaltung geschrieben hast und betonst in Deinem aktuellen Essay dazu, dass es Dir lieber wäre, die derzeitige Renaissance des Buches mit der Begründung, dass es aufgrund der krisenbeladenen heutigen Welt „aktueller denn je“ sei, träfe nicht zu. – Trieb Dich aber damals bei der Recherche und beim Schreiben unterschwellig nicht bereits der Wunsch, vor unbekannten oder verdrängten Gefahren zu warnen? In Unterhaltung verpackt, sozusagen?

FS: Da gibt es ein paar Sachen zu zu sagen. Zum einen freue ich mich natürlich schon, dass das Buch eine Renaissance erfährt. Es wäre ja auch seltsam, wenn nicht. Ich habe nur gesagt, es wäre mir lieber, wenn es die Gründe dafür nicht gäbe. Die Gründe sind ja, dass der Klimawandel, dass die Zerstörung der Umwelt uns mehr denn je bedroht. Das war 2004, als ich das Buch geschrieben habe, schon ziemlich aktut. Aber jetzt ist es noch einmal um einiges akuter und brisanter. Klar würden wir uns wünschen, die Welt wäre nicht in einem so schlechten Zustand und vor allem kommende Generationen wären nicht so bedroht von den Klimaveränderungen. Das ist aber so, also müssen wir uns damit auseinandersetzen.

Szenen aus der ZDF-Serie:

Oben: Ein Grauwal zerstört ein Whalewatcher-Schiff.

Unten: Die Menschheit ist mit der zweiten irdischen Intelligenz in Kommunikation getreten. Es kommt zu einer ersten, grundlegenden Verständigung. Fotos: Screenshots

Tatsächlich war meine Intention damals nicht, vor Umweltschäden zu warnen, sondern ich hatte eine ganz andere Idee. Ich bin alter Science fiction-Fan, wie Du ja auch. Ich wollte etwas schreiben über eine komplett andersartige intelligente Spezies, die so unterschiedlich zu uns ist, dass wir eigentlich überhaupt keine Möglichkeit haben, mit ihnen zu kommunizieren, da wir noch nicht einmal fundamentalste Werte teilen, ganz einfach aufgrund unserer völlig unterschiedlichen evolutiv bedingten Beschaffenheit.

Es ist ja die große Herausforderung der Exobiologen, darüber nachzudenken, wie könnte überhaupt außerirdischen Leben aussehen. Es gibt da ja eine Fraktion, die sagt, da sich das ja wahrscheinlich nur auf einem sehr erdähnlichen Planeten entwickelt haben kann, werden die uns sehr ähnlich sein. Und andere sagen nein, es könnte vielleicht sogar sein, dass sich im Inneren der Sonne unter Umständen und physikalischen Gegebenheiten, die vollkommen unterschiedlich zu unseren sind, ganz andersartiges Leben entwickelt haben könnte. Mit dem wir natürlich überhaupt keine gemeinsame Basis finden könnten. Diese zweite Überlegung finde ich noch spannender. Denn wie kommuniziert man mit so einer Spezies? Dann kam mir, nachdem so ziemlich jeder Außerirdische schon einmal beschrieben worden ist, die Idee: Was wäre denn, wenn die aus dem Inneren der Erde kämen, beziehungsweise aus unserem eigenen Biotop, sprich, aus den Ozeanen? Die viel älter wären als wir und sagen: ‚Wir sind eigentlich die intelligente Lebensform auf diesem Planeten‘…

JS: Die Hausherren sozusagen…

FS: Genau. Ihr seid hier die Parvenues, die Nachkömmlinge. Und jetzt macht ihr auch noch alles kaputt. Also werden wir Euch am besten jetzt wieder los. Das war der Hintergrund. So ist „Der Schwarm“ eigentlich gestartet als ein Alien-Roman. Und da bemerkte ich während des Schreibens, dass der ökologische Aspekt naturgegeben immer stärker da hineinwuchs, denn ich begann, mich mit den Ozeanen zu beschäftigen, mit den Wechselwirkungen mit dem Klima und so weiter. Alle diese Aspekte, die da plötzlich Einfluss nahmen, zeigten mir nur: Wir gehen sehr nachlässig mit unserem Planeten um, mit unserer Heimat. So wurde das immer mehr zum integralen Bestandteil der Story.

Apropos intelligente Arten: Frank Schätzing ist bekennender und kompetenter Donaldist.

Ich habe aber immer darauf geachtet, dass es nicht zum Selbstzweck wurde. Ich mag es nicht, wenn jemand eine Message hat und hängt das Alibimäntelchen einer Romanhandlung darum, denn ein Thriller ist ein Thriller und ein Sachbuch ist ein Sachbuch und eine Message ist eine Message. Man muss nur immer ganz genau wissen, was wo seinen Platz hat. Aber natürlich ist es in letzter Konsequenz dann doch ein Buch geworden, bei dem ich dachte, okay, ihr könnt das lesen, ihr könnt euch dabei auch unterhalten fühlen, aber wenn ihr darüber nachdenkt, was die Message dahinter ist, dass wir verantwortungsvoller mit unserer Umwelt umgehen und mit uns selber, dann sollte mich das freuen.

„Alle Zwistigkeiten und Zerreissproben werden obsolet sein…“

JS: Apropos unbekannte und / oder verdrängte Gefahren: Du hast lange schon vor dem Risiko eines großen Meteoriteneinschlages auf der Erde, der die Grundfesten unseres heutigen Lebens tief erschüttern oder gar beseitigen würde, gewarnt. Wie bewertest Du unter diesem Aspekt die gelungene NASA-Mission DART, mit der am 26. September 2022 erstmals durch Einfluss des Menschen die Bahn eines Asteroiden verändert werden konnte? NASA-Direktor Bill Nelson sprach von einem „historischen Moment“, einem „wichtigen Schritt zum Schutz der Erde vor Gefahren aus dem All.“ – Hat er übertrieben?

FS: Nein, absolut nicht. Das, was die da gemacht haben, kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Denn machen wir uns nichts vor: Alle Zwistigkeiten, die wir hier miteinander austragen – Glaubenskriege, Ideologiekriege, Ukraine, guck Dir diesen Mist an -, oder aber wenn man diese Zerreissproben der Menschheit – Querdenker, Abkehr von evaluierter Wissenschaft – anschaut, all das – wird obsolet, wenn so ein Ding bei uns einschlägt.

Oben: Der Endanflug der NASA-Sonde DART auf den Kometen Dimorphos, dessen Bahn sie mit dem Aufprall in beachtlichem Maße verändern wird.

Unten: NASA-Direktor Bill Nelson spricht von einem „historischen Moment“ für die Menschheit. Fotos: Screenshots aus NASA-Übertragung

Also wenn das die Größe dieses Dinosauria-Dings hat, dann sinn mer all fott (hochdt.: dann sind wir alle weg). Dann müssen wir uns um Gott und Allah keine Gedanken mehr machen, und um alles andere auch nicht. Dass wir immer gesagt haben, für alles andere können wir etwas entwickeln, um es abzuwehren, aber wenn so ein Ding auf die Erde fällt, dann können wir nichts machen, stimmte ja nicht. Man hat ja schon sehr früh und auch in der frühen Science fiction angefangen, darüber nachzudenken, was man tun könnte. Viele der Ideen, die die jetzt aufgreifen, sind schon vor Jahrzehnten in der Science fiction beschrieben worden. Um diese Gefahr von der Erde abwenden zu können, ist es meines Erachtens nach die vordringliche Aufgabe der Raumfahrt, an solchen Konzepten zu arbeiten.

Ukraine-Krieg: „Das alles ist eine Katastrophe“

JS: Nun kämen Kometeneinschläge aus dem All, bedrohliche Klimaveränderungen aber hat die Menschheit selbst verursacht. Wie siehst Du den aktuellen Stand der Klimarettung ganz allgemein und insbesondere vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges?

Noch keine gute Gegend für das Klima: Die drei Braunkohlekraftwerke Niederaußem (l.), Frimmersdorf (Mitte) und Neurath (r.) westlich von Köln. Der Luftraum darüber gehört zu den meistbeflogenen Gegenden der Welt. Foto: JS

FS: Ganz allgemein sehe ich es so, dass es eigentlich nichts gibt, das wir noch erfinden müssten, um das Problem zu lösen. Das ist erst einmal die gute Nachricht: Der Werkzeugkasten ist randvoll, wir haben alle Technologien. Wir können jetzt darüber nachdenken, welche Technologien am meisten Sinn machen, denn ich glaube, dass wir ein globales Problem – und es ist ja ein globales Problem – nicht mit einer Monotechnologie lösen können.

Du brauchst also eine Verzahnung verschiedener Technologien, aber dabei ist es umso wichtiger zu sehen, welche Technologien auf ihren Feldern die effizientesten sind. Nur dieses Zusammenspiel kann uns dahin bringen, dass wir das Problem lösen.

Wir haben ja gerade die Debatte mit den E-Fuels, also die Weiterbetreibung von Verbrennermotoren mit E-Fuels. Dazu würde ich sagen: Das ist Quatsch, denn E-Fuels sind energieineffizient in hohem Maße. Sie machen Sinn, wenn man sie in großen Maßstäben einsetzt wie in Schiffen und Flugzeugen, aber in Privatfahrzeugen und Privatheizungen ergibt das überhapt keinen Sinn, denn der energetische Aufwand, den man treiben muss, um E-Fuels herzustellen, ist bei weitem höher, als das, was man zum Schluss energetisch daraus holt. Das rechnet sich eventuell in Schiffen und Flugzeugen, aber definitiv nicht im Pkw. Deshalb ist das keine Technologieoffenheit, sondern Quark. Das ist regressiv, dass ist die Nachbeatmung einer Technologie, die man nicht braucht, wohingegen wir sehen, dass wir im Bereich der E-Mobilität noch jede Menge Effizienzsteigerungen zu erwarten haben. Daran müssen wir forschen.

Frank Schätzing hält nichts von E-Fuels für Autos. Allenfalls für Schiffs- und Flugzeugantriebe könnten sie in größerem Stil interessant werden. Ansonsten seien sie viel zu ineffektiv.

Es gibt im Bereich der Windkraft ganz neue Systeme, Zum Beispiel Flugwindkraftwerke, die etwas völlig anderes sind, als die Masten, die ja sehr stark diskutiert sind. Aber bei Flugwindkraftwerken hast Du ein Seil, das von einer Station ausgeht und Du hast in sechs- bis achthundert Metern Höhe einen Lenkdrachen, also eine ganz andere Energieeffizienz. Im Bereich der Solarenergie ist da für viele noch dieses klassische Panel mit 18 bis 20 Prozent Energieausbeute. Aber es wird ja auch da schon an Solarfolien gearbeitet, an Farben, Lacken. Stell‘ Dir mal vor, Du würdest ein E-Auto mit einem Solarlack lackieren, der dann seinen Beitrag dazu leistet, um die Batterie zu entlasten – das sind die Mischtechnologien, über die wir nachdenken müssen. Das alles ist da.

Wichtig ist auch die Digitalisierung. Ich glaube, dass wir mit künstlicher Intelligenz sehr viele Probleme lösen können werden. Da zum Beispiel über intelligente Energiemanagements, wo so eine KI sieht, wo in einer Stadt, einem Gebiet gerade ein Energieüberschuss und wo ein Energiedefizit herrscht und leitet die Energie entsprechend um. Auf diese Weise wirst Du enorme Energieersparnisse haben bei einer gleichzeitigen Effizienzsteigerung. Alle diese Dinge sind also da. Das heißt, dass wir keinen Ideenstau haben, sondern einen Umsetzungsstau.

Ein gehaltvolles Gespräch, findet der Interviewer.

Wir müssen also daran arbeiten, dass wir die Genehmigungsverfahren abkürzen, dass wir die bürokratischen Hürden abbauen, dass wir wieder mehr unternehmerischen Mut gerade bei jungen Unternehmen – Start ups, die interessante Technologien entwickeln und die dann umsezten hier in Europa – fördern. Und dass wir, weil es ja kein rein deutsches Problem ist, so viele Allianzen weltweit herstellen, wie nur irgend möglich zum beiderseitigen Vorteil und als globale Projekte vorantreiben. Es ist also ganz okay, wo wir stehen.

Aber wenn wir mal auf Deutschland schauen, so haben wir eine Ampel, die sich da ganz ambitionierte Ziele gesetzt hat, aber die zerfleischt sich momentan halt ein bisschen selbst. Da sind sie Grünen für mich schon die spannendste Kraft. Aber sie machen momentan aus meiner Sicht in der Eile, die auch richtg und geboten ist, den Fehler, zu versuchen, den lange versäumten Klimaschutz jetzt mit der Brechstange nachzuholen und den Leuten nicht vorher zu erklären, was sie tun, um sie zu entlasten, sodass das, was ich gehofft hatte, es nicht mehr passiert, dass die Menschen nicht den Klimawandel als Bedrohung wahrnehmen, sondern den Klimaschutz. Dass sie sagen ‚Das muss ich ja am Ende des Tages bezahlen, womöglich verliere ich noch meinen Job, weil meine Branche obsolet wird, dass man den Leuten also diese Ängste nimmt, indem man sagt: Wir haben hier ein ganz klares Konzept. Hier erfinden wir neue Branchen, Arbeitsplätze. An der Stelle entlasten wir Dich, Rentnerinnen oder Rentner zum Beispiel. Du musst Dir keine Sorgen machen, dass Du plötzliche eine Wärmepumpe bezahlen musst. Die bezahlen wir Dir. Das musst Du den Leuten erst einmal darstellen. Darauf kann man dann diese ganzen ambitionierten Projekte setzen. Aber das wird in der Ampel umgekehrt gemacht und das halte ich für einen Fehler.

JS: Inwiefern meinst Du, ist das Ganze jetzt durch den Ukrainekrieg beschleunigt oder behindert worden?

FS: Es ist beides. Zum einen muss man sagen: Krieg ist enorm klimaschädlich. Das, was da eine Explosion, ein Projektil in die Luft zu jagen und damit vorhandene Ordnung und Infrastruktur zu zerstören setzt so viele schädliche Emissionen frei, dass durch Krieg die Klimabilanz immer negativ sein wird. Insofern ist das alles eine Katastrophe.

Windpark bei Elsdorf im Rheinland westlich von Köln. Die Windräder stehen vor dem Hintergrund der Sophienhöhe, der inzwischen rekultivierten Abraumhalde des Braunkohlentagebaus Hambach. Foto: JS

Allerdings, abgesehen davon, dass nichts an diesem Krieg gut ist – der ist verwerflich -, bietet er aber die Chance, schneller auf die grünen Technologien umzustellen, als man das vor kurzem gehofft hatte.

Es gibt ja dieses sogenannte Energietrilemma. Das sind diese drei Faktoren, die eine Regierung zu bedenken hat, wenn sie ein Land mit Energie versorgt. Das ist zum einen die Verfügbarkeit, das sind die Kosten für die Energie und das ist der Umweltaspekt. In der Vergangenheit war es natürlich so, dass die Verfügbarkeit und der geringe Preis russischer Energie so attraktiv waren, dass dabei die Umwelt und das Klima immer hinten runterfielen. Jetzt, nachdem wir das nicht mehrhaben, nachdem wir diese ganzen Abhängigkeiten kappen, ist natürlich die große Chance da zu sagen, jetzt lasst uns nicht in die nächste Abhängigkeit begeben, sondern uns jetzt Gas geben, damit wir aus diesen politischen Abhängigkeiten herauskommen und gleichzeitig die ökologische Transformation vorziehen. Wenn das ernsthaft betrieben würde, dann läge in diesem Krieg eine große Chance, das Ziel schneller zu erreichen, als vor Jahren noch gedacht.

Klimakrise: Die Gesellschaft nicht als Kraft unterschätzen

JS: Hast Du das Gefühl, dass die Hinweise und Vorschläge in Deinem Buch „Was, wenn wir einfach die Welt retten“ von Politik und Otto-Normal-Verbraucher hinreichend wahrgenommen und berücksichtigt werden?

FS: Naja, ich bin nicht so selbstbesoffen zu denken, dass jeder mein Buch gelesen haben müsste. Aber ich habe das Gefühl, dass das in der Bevölkerung, in der Gesellschaft schon ankommt. Und darum finde ich es gefährlich, die Gesellschaft als Kraft zu unterschätzen. Das tut die Gesellschaft aber selbst, weil wir einander viel zu wenig zutrauen. Ich kenne viele Leute, mit denen ich rede und die sagen, ‚ja, ich sehe das alles ja ein, ich mache ja hier schon und da schon, aber ich habe das Gefühl, ich bin der einzige, um mich herum machen alle nicht mit.‘ Und dann gehst Du zu dessen Nachbarn und der erzählt Dir genau dasselbe. Das heißt, wenn wir einander mehr vertrauen würden, und mehr Allianzen untereinander schließen würden, etwa Klimabündnisse, dann könnten wir mehr bewirken und dann würde der persönliche Beitrag, den wir leisten, auch mehr zu Buche schlagen und wir könnten natürlich mehr Druck auf die Politik und die Wirtschaft ausüben.

Und gerade die Wirtschaft will ja auch. Die will von der Politik nur Planungssicherheit haben. Also ich habe das Gefühl, auf der einen Seite erstarken die Kräfte, und was ich sehr wichtig finde: Es erstarken die Kräfte in der Mitte der Gesellschaft, die das Ganze ja tragen muss. Und auf der anderen Seite rufen sie auch die restriktiven Kräfte auf den Plan, die dann erst recht die Uhr zurückdrehen wollen. Ich hoffe, dass das noch mehr in Richtung Klimaschutz geht, aber dafür muss den Menschen, um das noch einmal zu sagen, auch bessere Angebote machen.

JS: Noch einmal zurück zum Ukraine-Krieg. Wie bewertest Du den völkerrechtswidrigen Überfall Russlands auf sein Nachbarland, die Begründungen dazu – Stichworte: angeblich Nazis in Kiew an der Macht, Stopp antirussischer westlicher Interessen, Wiederherstellung des sowjetischen Imperiums – die seither dort begangenen Kriegsverbrechen und die Waffenlieferungen westlicher Länder an die sich verteidigende Ukraine? Hat das überfallene Land eine Chance? Und der Rest der Welt Möglichkeiten, eine gefährliche Krisenregion mitten durch Europa zu verhindern, Putins Machtgelüste also zu stoppen?

FS: Ich glaube, die Chance gibt es schon. Man muss einfach mal feststellen, Putins Angriffskrieg ist verbrecherisch und völkerrechtswidrig. Punkt. Und alle Relativierungen darüber, dass die Ukraine vorher auch kein besonders symphatischer Staat war, zerfressen von Korruption und dass es auch da Oligarchen gibt, das ist alles richtig. Es rechtfertigt aber trotzdem nicht, dass der Nachbar über dieses Land herfällt und unsägliches Leid über die Menschen bringt, denn die Raketen, die da einschlagen, Menschen töten, auch Kinder, sind russische Raketen.

Ich bin ein großer Freund der Charta der Vereinten Nationen und des Völkerrechts, das besagt, dass die territorialen Grenzen eines Landes zu respektieren sind. Das heißt für mich, dieser Krieg ist dann zu Ende, wenn die territoriale Integrität der Ukraine wiederhergestellt ist – und zwar auf dem Stand von 2014. Denn auch die Annektion der Krim war völkerrechtswidrig. Wir müssen uns abgewöhnen, bei so etwas zu sagen, ‚naja, das ist okay, das ist nicht so schlimm, das haben die Russen sich jetzt so eingesackt.‘ Es war ebenfalls eine völkerrechtswidrige Aneignung.

Diese Dikussion, die jetzt immer ums Gewinnen und Verlieren geführt wird, müssen die Russen verlieren, soll die Ukraine gewinnen, beinhaltet für mich die falschen Vokabeln an dieser Stelle. Sie sind sehr interpretationsoffen. Was heißt denn verlieren für die Russen, was heißt denn gewinnen für die Ukraine? Das heißt ganz sicher nicht, dass Selensky plötzlich auf Moskau marschiert. Das heißt schlicht und ergreifend nur, dass die Russen sich wieder hinter die Grenzen der souveränen Ukraine zurückziehen. Und das muss erreicht werden.

Ich finde auch, dass, wenn man sieht, dass eine diplomatische Lösung seitens des Aggressors nicht gewollt ist, oder wenn, dass das dann aber keine diplomatische Lösung, sondern die Durchsetzung seiner Maximalforderungen ist, nicht akzeptabel ist. Und wenn der Aggressor nicht verhandeln will, wenn er das Land weiterhin mit Gewalt und Bomben überzieht, dann muss man das angegriffene Land in die Lage versetzen, dem standzuhalten, bis er aufgibt. Und das geht nicht ohne Waffenlieferungen. Konsequente Waffenlieferungen an die Ukraine, immer vorbehaltlich dessen, dass sich die NATO aus dem direkten Konflikt mit Russland raushält. Aber die Unterstützung eines angegriffenen Landes ist kein Akt der Aggression anderer Länder gegen den Angreifer. Das ist auch völkerrechtlich gedeckt. Und deswegen müssen wir das machen.

Denen, die jetzt sagen, dass gerade wir Deutschen mit unserer Vergangenheit das nicht dürfen, denen würde ich entgegenhalten: Die Deutschen, die damals gelebt haben, gibt es nicht mehr. Es sind alles neue Deutsche, die keine Schuld an dem tragen, was passiert ist, die aber aus der Geschichte eine Verantwortung tragen, dass es nie wieder zu so etwas kommt wie dem Zweiten Weltkrieg und den Greueltaten, die Hitler begangen hat. Und wir müssen in Putin ganz klar hitlersche Tendenzen sehen. Also ist unsere Verantwortung jetzt, die Ukraine mit allem zu versorgen, um dem Aggressor standzuhalten und damit den Krieg zu beenden. Und allen Autokraten für die Zukunft die Lust zu nehmen, so etwas Ähnliches noch einmal zu versuchen, allen voran Xi Jinping mit Taiwan.

Die Leitmedien müssen eine konstruktive Rolle spielen

JS: Wie betrachtest Du vor diesem Hintergrund die Sicht des britischen Schriftstellers H. G. Wells, dass die menschliche Gesellschaft  – nach  meiner Interpretation – bei bestmöglicher Kenntnis der Geschichte die Gegenwart beurteilen, darauf basierend Veränderungen vornehmen und völlig neue Entwicklungen in Gang setzen sollte, um eine gute Zukunft einzuleiten und zu ermöglichen?

FS: Ganz einfach: Wer keine Vergangenheit hat, der hat keine Zukunft. Darum ist es so wichtig, dass wir aus dem, was war, lernen, um daraus Lehren darüber zu ziehen, was man nicht nochmal so machen sollte. Und es geht ja nicht immer darum, alles technologisch voranzutreiben und zu sagen, okay, die Welt wird ständig moderner – denn es gibt ja eine ganze Menge Dinge, die bleiben. Im menschlichen Verhalten, in der menschlichen Motivation, gerade was Machtergreifung angeht und die Renaissance der Autokratien, die wir gerade erleben. Das sind ja alles alte Gespenster, die da herumgeistern. Ich sehe das absolut wie Wells: Die Vergangenheit genau zu studieren, aber dabei nicht den Fehler zu machen, eine Vergangenheit 2.0 zu kreieren, so wie das eben bei den Populisten gemacht wird, sondern daraus auch echte Zukunft zu bauen.

Der britische Schriftsteller H. G. Wells.

In dem 1913 erschienenen Buch „Befreite Welt“ schloss H. G. Wells aus zurückliegenden Forschungsergebnissen, dass es Atomwaffen geben und diese auch eingesetzt würden. Er lieferte die Blaupause, wie die Selbstvernichtung zu verhindern sei, gleich mit.

JS: Das würde er sehr gerne hören. – Und wie ordnest Du den Stand, die Entwicklung und die Rolle von Medien im weiteren Sinne in dieser großen technologischen und damit auch politischen und gesellschaftlichen Umbruchphase ein? Was schätzt Du, was kritisierst Du, was forderst Du?

FS: Wir haben ja eine ganz neue Medienlandschaft. Früher hattest Du Zeitungen und Zeitschriften und Rundfunk und Fernsehen. Die haben gedruckt und gesendet, Du konntest aber nicht zurücksenden. Das waren Einbahnstraßen. Heute haben wir ganz andere Möglichkeiten, sich selbst einzubringen über Social Media und auch bei den klassischen Medien gibt es ganz andere Möglichkeiten der Response. Das heißt, wir sind stärker im Dialog. Diesen Dialog, muss man, glaube ich, noch stärker nutzen und kanalisieren. Man muss genauer hinschauen, wo da Fake News verbreitet werden, falsche ‚Fakten‘ unters Volk gestreut werden. Denn natürlich sind Menschen beeinflussbar.

Was dadurch in den Sozialen Medien passiert ist, dass Menschen beginnen, in ihren Blasen zu leben. Die Klimaleugner leben in ihrer Blase und die Wissenschaftsleugner in ihrer und die Filmfreunde eben auch in ihrer. Jeder lebt ein bisschen in seiner. Ob das eine gute oder schlechte Blase ist, ist dabei erst einmal unerheblich, sondern es ist so, dass, wenn Du nicht mehr die klassischen Medien konsumierst, sondern nur noch das Internet und die Social Media, die Algorithmen Dir natürlich Deine Welt so bauen, wie Du denkst, dass sie gesamtheitlich ist, indem sie einfach alles andere aussparen. Daher ist es die große Herausforderung, dass wir unseren Horizont wieder öffnen, also dass die mediale Auseinandersetzung, in der wir da sind, unseren Horizont nicht verengt und uns im Grunde genommen separiert und jeder hat seinen Club, wir aber nicht miteinander reden, sondern dass wir diese Blasen öffnen, und mehr miteinander in Austausch geraten, einander mehr zuhören, einander auch mehr mit komplett konträren Standpunkten durchdringen, aber sehr genau dabei hinhören, was hat der andere zu sagen, und mehr darauf eingehen, statt immer nur gegeneinander zu knallen, so wie wir es in letzter Zeit hatten.

Und dann haben die Leitmedien meines Erachtens zunehmend die Aufgabe, Zuversicht zu verbreiten und eine konstruktive Rolle zu spielen. Natürlich müssen die kritisch sein, sollen auch kritisch sein, aber in der Vergangenheit war mein Eindruck auch, dass die klassischen Medien eben am liebsten erst einmal mit der Angstfahne gewedelt haben. Wenn es um Klimaschutz ging, dann hieß es sofort: Krise und ich kriege alles verboten, Verzicht und ich verliere meinen Job. Und alle Diskussionen und alle Talkshows drehten sich immer erst um die Ängste der Menschen. Und wenn da endlich irgendeiner mal sagt, ‚es gibt doch auch diese und jene Chance‘, dann war die Sendung zuende. Das heißt, wir brauchen mehr Formate, in denen über das geredet wir, was geht und wie man das am besten implementieren kann. Da gibt es jetzt gerade das sehr gut gemachte Format „Wir können auch anders“ in der ARD, in dem sich deutsche Prominente in den Dienst der guten Sache gestellt haben und – sehr unterhaltsam! – positive Beispiele dafür, wie manches funktionieren kann, transportieren.

Doch in dieser Hinsicht würde ich von den Medien mehr erwarten, eine konstruktivere Rolle, mehr Mutmacher, mehr über Chancen, mehr über die positiven Narrative einer globalen Transformation. In welcher Welt wir denn, wenn sie uns gelingt, dann leben und warum diese Welt viel besser sein kann. Warum es da genug Arbeit gibt, aber bessere Arbeit, dass es dann genug zu essen gibt, das auch noch lecker schmeckt. Vielleicht wird sie ein bisschen anders sein, aber dass wir dann wieder in einer werteorientierteren Gesellschaft leben, dass es mehr darum geht, was eine Ressource eigentlich wert ist. Da können wir hinkommen und dann können sich einige der Utopien der Science fiction-Autoren der letzten Jahre und Jahrzehnte durchaus erfüllen. Aber wir müssen daran glauben, wir müssen die Visionen haben und dann können wir sie auch gemeinschaftlich umsetzen. Das aber nicht immer auf der Basis von Angst.

An Visionären mangelte es noch nie

JS: Es gibt zahlreiche Beispiele von Publizisten, die völlig zu Recht vor Gefahren gewarnt oder auch Lösungsmöglichkeiten präsentiert haben. So hat Wells in „Die Geschichte unserer Welt“ 1920 einen hochgelobten Rückblick präsentiert und bereits zuvor, 1896 in „Die Insel des Dr. Mureau“ Biotechnologie sowie deren Auswirkungen, 1899 in „Wenn der Schläfer erwacht“ die ausufernde Macht des Geldes und 1913 in „Befreite Welt“ die Atomrüstung und deren Einsatz vorhergesehen und in den Büchern „Die Welt des William Clissold“ (1927), „Die offene Verschwörung“ (1928) ein näheres Zusammenrücken der Staaten bis hin zur Einrichtung eines „Weltdirektoriates“ geradezu eingefordert. Es gäbe hier zahlreiche weitere Schriftsteller, Journalisten und andere Publizisten zu nennen, zum Beispiel den Autor der „Grenzen des Wachstums“, Dennis Meadows für den Club of Rome und die Autoren von „Global 2000 – Der Bericht an den Präsidenten“. – Was glaubst Du: Haben wir mit der vorgehaltenen Schreibfeder eine Chance, den weltweiten Irrsinn zu stoppen und zu bekämpfen?

FS: Es gibt ja diesen Ausspruch, noch kein Gedicht habe jemals einen Panzer gestoppt. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass Gedichte Menschen dazu bringen können, sich vor Panzer zu stellen. Das hat die Vergangenheit oft gezeigt und es gibt genug Beispiele, wo Literatur die Menschen so stark beeinflusst hat, dass daraus eine Weltideologie geworden ist.

Wir müssen uns nur das Werk eines gewissen Karl Marx anschauen. Ob wir das gut oder schlecht finden, spielt dabei überhaupt keine Rolle. Aber man sieht, dass Literatur durchaus eine Wirkmächtigkeit hat.

Gerade Wells kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Bei ihm ist ja das Irre, dass er  praktisch jedes heute relevante Thema auf dem Schirm hatte. Aber er war auch noch so phantasiebegabt, dass er das Ganze in spannende Geschichten gepackt hat. Er war darüber hinaus ein großer Humanist. Man vergisst ja oft, dass die Idee hinter „Krieg der Welten“, einer meiner Lieblingsstoffe von ihm – übrigens von Spielberg 2005 kongenial verfilmt -, nicht einfach war: Es gibt außerirdisches Leben und was machen wir denn, wenn die hier landen? Sondern es war ja eine Satire auf den englischen Kolonialismus, der so funktionierte, dass wir für ganz viele Nationen auf anderen Kontinenten die Marsianer gewesen sind. Und jetzt schreibe ich mal darüber, wie sich das anfühlt, wenn wir mal die Kolonialisierten sind, die ausgesaugt werden. Denn dieses Blutaussaugen ist ja eine Metapher. Also auch da war er ein großer Humanist, er war ein Politologe, er war ein glänzender Science fiction-Autor, Thriller-Autor und er hatte alles auf dem Schirm. Ein Hammer, der Typ.

Wer als erster schießt, ist als zweiter tot

JS: Das höre ich gern, denn ich sehe es auch so. – Zum Schluss Deines Essays zur Jubiläums-Ausgabe des „Schwarm“ stellst Du die Frage, „Wo stehen wir jetzt?“ und beantwortest sie gleich selbst. Du schreibst: „Solange wir sie stellen, fragen wir auch nach dem Kommenden. Hören wir auf, sie zu stellen, verorten wir uns nur noch in Erinnerungen, verlieren wir die Gegenwart, die Zukunft, uns. Dann war es das. Dann sind wir in Nostalgie begraben oder tot.“ Deshalb ganz konkret: Wo stehen wir Deines Erachtens nach jetzt? Dazu ein paar kurze Fragen:

Wie beurteilst Du die Gefahr eines Atomkrieges und die Chancen, einen solchen aktuell zu verhindern und wirklich nachhaltig auszuschießen, so, wie es nach Michail Gorbatschows Glasnost und Perestroika schon einmal der Fall zu sein schien?

FS: Ihn völlig auszuschließen, ihn nachhaltig auszuschließen, könnte ja nur mit der völligen Vernichtung aller Atomwaffen einhergehen.

JS: Und der Löschung des Wissens über deren Funktionsweise.

FS: Richtig. Aber Atomwaffen werden immer in den Händen irgendwelcher Verantwortlicher sein und man weiß nie, ob nicht plötzlich einer von denen auf dumme Ideen kommt. Die Abschaffung aller Atomwaffen ist aber glaube ich illusorisch. Das ist eine schöne Utopie, aber ich glaube, das wird so nicht stattfinden. Also geht es doch eher darum, dass man dafür Sorge trägt, dass die Regime, in deren Händen Atomwaffen sind, möglichst stabil sind. Da kommt nun gerade durch den Ukrainekrieg die Frage auf: Was ist, wenn wir den Putin zu sehr ärgern? Wobei man vergisst, dass er derjenige ist, der die Welt gerade ärgert. Er wird nicht aufhören, zu ärgern und er wird immer schlimmer ärgern, wenn man ihn nicht stoppt. Aber das ist natürlich genau der Punkt, an dem wir gerade stehen: Hier stellt sich die Frage, wie groß die Gefahr denn eigentlich ist. Und da sehen wir, dass Putin vor einem Jahr schon offen damit gedroht hat, Atomwaffen zum Einsatz zu bringen, was bis heute nicht passiert ist. Und die Hemmschwelle ist schon sehr groß, wenn jemand nicht gerade suizidal ist, denn in der nuklearen Doktrin gilt: Wer als erster schießt ist als zweiter tot. Insofern glaube ich, dass die reale Gefahr eher gering bis sehr gering ist, denn erstens will keiner sterben, auch Putin nicht. Versuchen wir zumindest mal, es vorauszusetzen. Man weiß es schlussendlich natürlich nie ganz.

JS: Wozu hätte er sonst den riesigen geklauten Palast…

FS: Ganz genau. Die wollen ja auch weiterleben und weiter prassen, aber ich bin da auch bei der Einschätzung von Florence Gaub – sie ist eine sehr gute Militärexpertin. Die sagt, die eigentliche Waffe ist nicht der nukleare Sprengstoff, sondern die Drohung damit. Die verfängt hier natürlich auch. Aber damit man jemanden wie Putin mit seinem zusammengeklitterten Geschichtsbild nicht ermutigt, irgendwo so eine Bombe abzuwerfen, ist es umso wichtiger, ihm geschlossen entgegenzutreten. Insofern denke ich, ist die Gefahr trotz des Ukrainekrieges sehr gering. Aber man sollte nichtsdestoweniger auf Hochtouren daran arbeiten, das Atomwaffenarsenal, wenn dieser unselige Krieg zuende ist, weltweit zu verringern, wo es nur irgend geht.

Wir sind nur innerhalb bestimmter Rahmenbedingungen überlebensfähig

JS: Und wie beurteilst Du die Maßnahmen zur Eindämmung der Klimaerwärmung? Bei wieviel Grad Temperaturerhöhung könnten wir bis zur Stabilisierung im besten Fall landen und wo, befürchtest Du, im schlimmsten?

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FS: Es gibt natürlich viele Szenarien, in denen nachgerechnet wird. Der Weltklimarat ist ja einhellig der Ansicht, dass wir, wenn wir so weitermachen wie bis jetzt, wenn diese dynamische Kurve noch dynamischer wird, die Stabilisierung bei zwei Grad nicht erreichen, dass wir dann eher über zwei Grad, wahrscheinlich mit der Tendenz Richtung drei Grad, kommen werden.

Das wäre aus einem ganz einfachen Grund natürlich fatal: Wir sind auch nur eine Tierart, und wie jede Tierart sind wir nur innerhalb gewisser physikalischer Rahmenbedingungen überlebensfähig. Anders als Tiere können wir uns jetzt noch eine Weile behelfen, aber wenn es zu warm oder zu kalt auf der Erde wird, dann war es da, dann sterben wir schlicht und einfach aus. Wenn die Erde sich zu sehr erwärmt, besteht die Gefahr – auch das ist eine Wahrscheinlichkeitsrechnung, aber die Gefahr ist relativ groß -, dass dann sehr viele physikalische Kipppunkte überschritten werden, und dass dann ökologische Subsysteme wie der Golfstrom, Passatwinde wie Jetstreams, wie der Regenwald und Permafrost, umkippen, sodass wir das Vorher nicht mehr zurückholen können. Dann entwickeln die sich, ohne dass wir etwas daran ändern können, in eine uns nicht genehme Richtung, reißen einander mit und wir bekommen einen Planeten, auf dem wir nur in bestimmten Zonen leben können.

Dann gibt es keine Wertschöpfung mehr, dann verdampft alles in Klimaanpassung. Aber irgendwann ist natürlich auch die Anpassung vorbei. Darum müssen wir unter zwei Grad bleiben. Und wir könnten das – darüber haben wir eben schon gesprochen -, wenn wir konsquent handeln, erreichen, ohne dass deswegen die Weltwirtschaft leiden würde. Sie müsste sich stattdessen umstellen und dann wahrscheinlich sogar noch besser funktionieren. Wir haben alles Notwendige da, aber der politische Wille muss endlich da sein, es auch weltweit umzusetzen.

Ein Ort der Rückständigkeit mit Inseln des Fortschritts

JS: Und wie beurteilst Du unsere Chancen, ein globales Desaster zu verhindern? Gibt es in dieser gerade so verworrenen Welt Mittel und Wege, dass die Menschen von ihrem geographischen und persönlichen Umfeld abgesehen und über ihre Lebensspannen hinaus zu einer Art globalen Gewissens gelangen? Falls ja: Welche siehst Du?

FS: Das mit dem globalen Gewissen weiß ich nicht. Das klingt ja ein bisschen so, als wenn wir in den Zustand eines kollektiv höheren Bewusstseins gelangen, als ob wir so wie Schmetterlinge bisher alle in unseren Raupen gesessen hätten, und plötzlich – I want to break free – befreit sich die Menschheit daraus und dann sind wir alle telepathisch miteinander verbunden. Das wird so nicht passieren.

Ich habe als Kind und auch als Teenager immer geglaubt, die Welt sei ein fortschrittlicher Ort mit Inseln der Rückständigkeit. Heute bin ich der Meinung, sie ist ein Ort der Rückständigkeit mit Inseln der Fortschrittlichkeit. Weil wir nicht sehen, unter welch komplett verschiedenen Rahmen- und Lebensbedingungen ganze Völker leben. Hier hast du eine Aufklärung gehabt, da hat man noch nicht einmal den Ansatz einer Aufklärung. All das zusammen sieht nicht danach aus, dass wir ein globales Gewissen entwickeln.

Foto: NASA

Was wir aber entwickeln können – und das zeigt die Geschichte -, ist, dass wir in größeren Verbünden und Verbänden Regelwerke erarbeiten, wie zum Beispiel in Europa. Und dass diese Regelwerke, sofern sie funktionieren, uns dazu zu bringen, bestimmte Formen der zivilisatorischen Auseinandersetzung als gegeben und als wünschenswert zu betrachten, indem wir bestimmte Dinge nicht tun. Das kann funktionieren und dazu ist es wichtig, dass wir das als ein überzeugendes Modell zu anderen in die Welt tragen. Das muss aber auch damit einhergehen, dass wir diese anderen nicht länger ausbeuten, sondern dass wir ihnen helfen, auf diesen Weg zu finden und ihnen Möglichkeiten eröffnen, an unserem Wirtschafts- und Wohlstandsmodell zu partizipieren. Und zwar nicht so, dass es auf Kosten der Umwelt und des Klimas geht, sondern ganz im Gegenteil.

Dazu brauchen wir ein Weltwirtschaftssystem, das erst einmal den armen Ländern die Schulden streicht, damit sie nicht länger in den Schraubzwingen ihrer Verpflichtungen gezwungen sind, umweltschädlich zu prosperieren, dass wir ihnen die Technologien zur Verfügung stellen, damit sie umweltfreundlich prosperieren können und dass wir die Märkte so öffnen und so gestalten, dass jedes Land das, was am besten kann, eine faire Chance hat, das auch zu tun. Und das bedeutet, dass große Konzerne nicht alles so billig machen, dass sie anderen nicht mehr in der Lage sind, mitzuziehen, sondern dass wir zu einer Art globalen sozialen Marktwirtschaft finden, in der Dinge, die etwas wert sind, auch dementsprechend viel kosten, damit aber auch die gesamte Wertschöpfungskette bis hin zu deren Ursprüngen, dass jeder, der daran partizipiert, auch genug daran verdient, um sich ein menschenwürdiges Leben leisten zu können. Ich bin der festen Überzeugung, dass das geht. Aber das ist mehr als Klimaschutz, ist mehr als Wirtschaftskosmetik. Dafür brauchst du schon einen Umbau des Weltwirtschaftssystems.

JS: Du meinst also, der menschliche Geist ist doch noch nicht am Ende seiner Möglichkeiten angelangt?

FS: Ich sage mal, dass wir beide jetzt hier sitzen und uns über so etwas unterhalten – und ich würde nicht behaupten, dass wir besonders schlaue Vertreter der Menschheit sind, sondern wir sind eher durchschnittliche Vertreter, die ein bisschen nachdenken und ein bisschen was gelesen haben und uns Gedanken machen-…

JS: Obwohl… – immerhin!

FS: … genau, immerhin – dass wir darüber reden können und dass Menschen überhaupt in der Lage sind, vorauszudenken, ist eigentlich sehr ermutigend. Das ist ein eindeutiges Ja auf Deine Frage. Wir sind eben die einzige Spezies auf diesem Planeten, die komplexe Bilder möglicher Zukünfte entwickeln kann, um sich dann zu überlegen, welche dieser Zukünfte sie haben will. Wir sollten besser darin werden, dann auch das zu tun, was getan werden muss, damit wir diese Zukunft bekommen und keine beschissene.

JS: Dann erinnere ich mit Dir sehr gerne an die Zukunft und danke Dir, lieber Frank, im Namen der AUSSICHTEN-Redaktion sehr herzlich für dieses gehaltvolle Gespräch.

FS: Ich danke auch ganz herzlich, lieber Jürgen.

Die „Doomsday Clock“, ein Symbol für die Überlebenschancen der Menschheit, ist 2022 auf 100 Sekunden vor High Noon vorgestellt worden.


Frank Schätzing

wurde am 28. Mai 1957 in Köln geboren. Er studierte Kommunikationswissenschaften, arbeitete anschließend in der Werbung und war Geschäftsführer der von ihm mitgegründeten Agentur Intevi. Seit Anfang der neunziger Jahre betätigte er sich auch schriftstellerisch, wobei seine Werke zunächst als Köln-Krimis betrachtet wurden. Mit dem ebenfalls in Köln spielenden historischen Roman „Tod und Teufel“ wurde er einem darüber hinausreichenden Publikum bekannt. Die Handlungen seiner weiteren Bücher wie „Die dunkle Seite“ und „Lautlos“ überschritten die Grenzen Kölns bereits deutlich.

Mit dem 2004 erschienenen Thriller „Der Schwarm“ gelang Schätzing der Durchbruch als Autor und er konnte seine Position als Intevi-Geschäftsführer aufgeben. Das eintausendseitige Buch erreichte bis zum Jahr 2010 eine Gesamtauflage von 3,8 Millionen Exemplaren in 28 Sprachen. 2006 ließ Schätzing das Buch „Nachrichten aus einem unbekannten Universum – Eine Zeitreise durch die Meere“ folgen, in dem er seine Erkenntnisse aus den Recherchen für „Der Schwarm“ thematisiert. Noch im selben Jahr sendete das ZDF im Rahmen der Reihe „Terra X“ eine dreiteilige Dokumentation hierzu.

Später folgten die Polit- bzw. Wissenschaftthriller „Breaking News“ über die Explosivität des Nahostkonfliktes und „Die Tyrannei des Schmetterlings“ über die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz.

Im März 2023 wurde eine mit über 40 Millionen Euro Etat aufwendig gemachte achtteilige Serie von „Der Schwarm“ im ZDF ausgestrahlt. Zunächst hatte Frank Schätzing am Drehbuch mitgeschrieben, war aber aufgrund inhaltlicher Differenzen mit dem Produzenten Frank Doelger (u. a. „Game of Thrones“) aus der Produktion ausgestiegen.

Frank Schätzing, der mit Sabina Valkieser-Schätzing verheiratet ist und 2020 in das PEN-Zentrum Deutschland aufgenommen wurde, unterstützte schon länger Umweltprojekte. Folgerichtig erschien 2021 sein Buch „Was, wenn wir einfach die Welt retten“. Das Handelsblatt schrieb darüber im Dezember 2021: „Genauer hingeschaut ist das fast 340 Seiten starke Buch über den Klimawandel (allerdings) eine bunte Mischung aus Nachschlagewerk, persönlichem Essay, Krimi und Theaterstück“, so das Handelsblatt.

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