Heimatvernichtung – Offener Brief an die Pressestelle des RWE
Den nachfolgenden offenen Brief an meinen früheren Kollegen Guido Steffen – er arbeitete in der Lokalredaktion für den Erftkreis (heute Rhein-Erft-Kreis) der „Kölnischen Rundschau“, als ich für die Konkurrenz, den „Kölner Stadt-Anzeiger“ im Einsatz war -, als ich erfuhr, dass er in seiner Kirchengemeinde zum Prädikanten, also zum ehrenamtlichen evangelischen Prediger ernannt worden war und bei seiner Antrittspredigt besonderes Gewicht auf das Thema Heimat gelegt hatte. Schließlich rechtfertigte er, der schon seit vielen Jahren einer der Pressesprecher des Energiegiganten RWE war, so ziemlich jede Vernichtung von Heimat im Sinne seines Arbeitgebers gegenüber der Öffentlichkeit. Damals, noch bevor es zum Beschluss, aus der Braunkohlenverstromung auszusteigen, kam, ließ die nordrhein-westfälische Landesregierung den besetzten Hambacher Restwald mit einem der größten Polizeiaufgebote, die je in NRW im Einsatz waren, ganz im Sinne von RWE räumen, wobei ein junger Fotograf ums Leben kam.
RWE
– Pressestelle
z. Hd. Guido Steffen
27. November 2017
Offener Brief
Lieber „alter“ Kollege Guido,
gestern las ich im Rahmen meiner Recherchen zu den Auseinandersetzungen um die Braunkohleförderung von Deiner Beförderung zum Prädikanten. Dazu gratuliere ich Dir herzlich. Obwohl ich selbst keiner Konfession angehöre, arbeite ich selbst gut und eng mit der hiesigen evangelischen Kirche zusammen. Das Gemeindehaus ist schon seit beinahe 14 Jahren die Heimat „meines“ Königsdorfer Literaturforums, die ich nicht mehr missen will. Es geht dort um die Freiheit des Wortes, während das RWE nun mit Polizeischutz versucht, Medienvertreter von der Abholzung des Hambacher Restwaldes fernzuhalten.
Dabei geht es um Heimat. Davon, wie wichtig Dir sie ist, redest Du auch im Zusammen-hang mit Deiner Ernennung zum Prädikanten. Mit dem Thema geistiger und geographi-scher Heimat beschäftige ich mich schon lange und habe dabei immer wieder erfahren, dass sie unabdingbar ist, damit ein Mensch seinen angemessenen Platz in einer Gesell-schaft finden kann. Und auch Tiere und Pflanzen brauchen Lebensraum, letztlich Heimat.
Weißt Du, mein Vater war vertriebener Schlesier. Er hing in Gedanken sehr an seiner alten Heimat. Wie schön war es, als ich ihn mit meiner Mutter und meiner Lebensge-fährtin während einer Reise dorthin begleiten und die Orte und sogar noch manche Menschen, von denen er so oft gesprochen hatte, kennenlernen und seine Freude da-rüber, dass er sie wieder besuchen konnte, miterleben konnte. Den ganzen Kalten Krieg über wusste er schließlich, dass es seine alte Heimat hinter dem Eisernen Vorhang noch gab. Und nun konnte er wieder dorthin.
Später war ich aus Anlass des zehnten Jahrestages der Reaktorkatastrophe von Tscher-nobyl für eine Sondersendung der ARD in der weitestgehend entvölkerten „Verbotenen Zone“. Nie vergessen werde ich, wie Valentina, die einmal im Jahr das Grab ihres im Sperrgebiet begrabenen Sohnes besuchen durfte, uns ihre nach dem Super-GAU flucht-artig verlassene Wohnung zeigte und dabei weinte: „Hier waren wir glücklich.“ Als ich ihr sagte, dass wir ihre Tränen nicht im Film zeigen würden, bat sie sogar darum, dass wir es täten. Die Welt solle sehen, wie es Menschen gehe, die ihre Heimat verloren ha-ben. Wir haben die berührende Szene also gesendet. Andere Menschen kehrten in die verbotenen Zonen (es gibt nämlich mehrere) zurück und leben und sterben dort. Das Risiko, dort an Krebs zu erkranken, nehmen sie in Kauf, während sie in verlassenen Geisterdörfern hausen. Die Heimat ist ihnen wichtiger.
Immer wieder hatte ich als Journalist auch mit dem Kohleabbau in unserer Region zu tun. Ich lernte Menschen kennen, die im wahrsten Sinne des Wortes entwurzelt waren, erfuhr von damit in Zusammenhang stehenden Suiziden und sah einmal aus der Ferne bei „Umsiedlungsarbeiten“ eines Friedhofes zu, wie einige Angehörige der Verstorbenen auch. Ich gönne das niemandem.
Diese Menschen haben weder in Gedanken, wie mein kriegsbedingt vertriebener Vater und Valentina aus Pribjat neben dem explodierten Reaktor, noch überhaupt mehr eine geographische Heimat. Und darunter leidet die geistige mit. Nachhaltiger, als Dörfer, Wälder und Felder wegzubaggern, kann man Lebensraum nicht vernichten, lebenslan-gen Gram verursachen. Das wirkt für die Ewigkeit. Rekultivierung ist da nur ein beschö-nigender Begriff. Heute, da der Ausstieg aus der Erzeugung von Energie aus Kohle kurz bevorsteht und Deutschland aktuell Strom exportiert, ist das Umgraben ganzer Land-striche mit nichts mehr zu entschuldigen.
Und übrigens: Auch anderswo auf der Welt verschwindet durch diese unsere Form von Energiegewinnung Heimat, indem Inseln immer mehr überflutet und ganze Regionen unbewohnbar werden, weil Land verdorrt oder bisher ewiges Eis schmilzt.
Geistige Heimat ist Dir, Guido, wichtig. Ich fordere Dich hiermit auf, beim Beginn des Abrisses z.B. der Manheimer Kirche dabei zu sein. Dann kannst Du gleich vor Ort Stel-lung beziehen. Für RWE, Dich selbst, oder in Demut schweigen.
Jetzt bitte ich Dich dringend um Stellungnahme zu der Frage, ob Ihr Euch beim RWE nicht schämt. Entschuldige bitte die Deutlichkeit – sie ist notwendig. Es werden weitere Fragen folgen, die meinerseits nicht so sehr mit Paragraphen zu tun haben werden, sondern mit Ethik, Moral und Haltung.
In diesem Sinne beste Grüße von
Jürgen Streich