Traumata und Hoffnungen

Traumata und Hoffnungen

Erzählungen und Berichte kanadischer Indianer

Sie leben seit jeher hoch im Norden von Ontario, Turtle Island / Kanada, unterhalb der Hudson Bay. Hinter sich eine lange Zeit in relativer Ungestörtheit auf ihrem Land. Ein zunächst vielversprechender Pelzhandel. Missionierung, Leid und Tragödien. Heute noch Traumatisierung, schwierigste Lebensumstände, jedoch auch Hoffnung und starke Schritte nach vorne.

Die indianischen Gemeinden der Cree und Ojibwe leben in entlegenen Reservaten wie viele andere First Nations. Zu den meisten kommt man nur mit dem Kleinflugzeug. Der Autor und Schweizer Historiker Manuel Menrath reiste mehrfach in das Gebiet. Für dieses Buch verbrachte er mehrere Monate bei ihnen und hat Jugendlichen, Frauen und Männern zugehört.

Durch ihre Erzählungen und die Erlebnisse des Autors auf seinen Reisen können Leserinnen und Leser in eine fremde Welt eintauchen. Als Jugendliche verbrachte ich zwei Monate bei der Familie meines Onkels in Toronto. Das nähere ländliche Umland habe ich zwar kennengelernt, die entlegene Weite des Landes aber nicht. Daher hat mich Manuel Menraths Buch vor allem mit seinen Geschichten eingefangen. Mit Geschichten und Anekdoten vom Jagen, Trappen und Fischen, von Tipis und Zeremonien, von einem Vielfraß und Moskitos. Von Zerrissenheit. Viele Berichte der Indianer sind schockierend: die Zugriffe auf ihre Lebensweise, auf Kinder, Frauen und Männer. Doch es gibt eine Aufarbeitung, positive Veränderungen im Umgang mit den Anliegen der First Nations und Zuversicht.

Das Buch hat mich von der ersten Seite an berührt, denn es gibt den indianischen Gemeinschaften eine vernehmbare Stimme. Es lässt die Vergangenheit sprechen, benennt aktuelle Missstände und zeigt die enormen sozialen Probleme in den Reservaten auf. Es hat mich bedrückt zu lesen, wie schwer das Leben der Gemeinschaften in ihrem Alltag immer noch ist. Doch die Cree und Ojibwe geben nicht auf und kämpfen weiter für ihre Rechte.

Die authentischen Erzählungen und Legenden der Cree und Ojibwe haben mich so in ihre Welt hoch im Norden von Ontario hineingezogen, dass sie mir nicht mehr so fremd vorkommt. So, als wäre sie gar nicht weit weg.

Manuel Menrath: Unter dem Nordlicht. Indianer aus Kanada erzählen von ihrem Land, Galiani Berlin, 2020, 479 Seiten, 26 Euro

Auszüge aus „Unter dem Nordlicht“

„Als es auf der großen Schildkröteninsel noch unbesiedelte Gebiete gab, wanderten zwei Freunde, ein Mann und eine Frau, durch eine schier endlose Ebene. Dabei trafen sie auf Ehep, die Riesenspinne. Sie fragte: „Wohin geht ihr?“ „Wir suchen ein Gebiet, in dem wir leben können.“ „Ein solches liegt da unten“, meinte Ehep und wies die Richtung. „Es ist ein weites Land. Im Winter schneit es und wird sehr kalt. Im Sommer regnet es und wird sehr heiß. Aber dieses Land ist sehr gut.“ Die Riesenspinne bot ihnen an, sie dorthin zu bringen (…)

„Obwohl man den First Nations versprochen hatte, die Reservate seien für Außenstehende unantastbar, schuf der Indian Act die Voraussetzung, deren Land im öffentlichen Interesse (…) zu enteignen. Dieses Gesetz gilt bis heute.“ (…)

„Aber es gibt sie dennoch, die vielen Kinderträume in den abgelegenen Reservaten. Sie sind der Balsam einer zerrütteten, aber nicht zerstörten Welt. (…) Als ich die 14-jährige Kara Knapaysweet aus Fort Albany auf ihre Zukunftspläne ansprach, meinte sie: „Ich will Medizin studieren. Wenn ich Ärztin bin, werde ich im Reservat arbeiten. (…) Als Ärztin will ich ständig hier sein, damit sich niemand mehr zu sorgen braucht.“ (Seite 411)


Sabine van de Sandt ist seit 2018 Mitglied der Schreibwerkstatt „Frechener Schreibstoff“ und schreibt seitdem Kurzgeschichten und Gedichte in Form des japanischen Haiku. Die deutsche Sprache und Fremdsprachen sind ihre Leidenschaft.

Mit ihrem Mann und ihrem Hund Odin lebt sie in Frechen-Königsdorf.

Sie ist durch ein Radio-Interview mit Manuel Menrath auf sein neues Buch „Unter dem Nordlicht“ aufmerksam geworden.

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