Poeten des Lichts
Josef Mörsch empfiehlt den Fotoband „Lys“
Weihnachten ohne Licht? Nicht vorstellbar. Ohne Licht geht auch in der Fotografie gar nichts. Was dann herauskommt, wenn sich Poeten des Lichts diesem Thema im hohen europäischen Norden fotografisch widmen, wird auf wundervolle Weise im Fotobuch, das ich vorstellen möchte, zelebriert.
„Lys“, das norwegische und dänische Wort für Licht, lautet der Titel. Sandra Bartocha und Werner Bollmann, zwei befreundete deutsche Naturfotografen, haben vier Jahre lang im Zyklus der Jahreszeiten die skandinavischen Länder bereist und mit ihren Kameras die filigranen Lichtstimmungen der verschiedenen Landschaften eingefangen. Lichter Süden, ruhige Wasser, stille Wälder, weite Tundra, wildes Meer und hoher Norden sind die sechs fotografischen Themenräume, in denen Lys gesammelt wird.
Poetisch anmutende Texte zum jeweiligen Kapitelbeginn machen mit ihrer bildhaften Sprache neugierig auf die folgenden Bildsequenzen. Tauchen wir ein wenig ein in den „Lichten Süden“: Die Fotografien sind reduziert auf wenige Farben, spielen mit Schärfe und Unschärfe und alle Motive wie Pflanzen, Wasser, Steine, Sand sind immer wieder nur die natürlichen Träger des allgegenwärtigen Lichtes. Manche Bilder sind zart wie Aquarelle.
Eine besondere Beziehung gehen Tiere und die umgebende Natur ein. Nicht der formatfüllende Vogel dominiert das Bild, sondern der kleine Vogel in seiner steinernen Lebenswelt setzt vor goldgelbem Lichterhintergrund einen Akzent.
Grafisch anmutende Schwarzweiß-Fotografien von Meeresvögeln zeigen die Schönheit des diffusen Lichtes im Kapitel „Wildes Meer“, in dem auch das zauberhafte Polarlicht über meerumspülten Felsen seinen Platz findet.
Meine persönliche Krönung an Lichtstimmungen finden sich im letzten Kapitel „Hoher Norden“. Hier erscheinen verschneite Berge, die wie Bleichstiftzeichnungen wirken, im Kontrast zu in mystisches blaues Licht getauchten Eis- und Schneelandschaften.
Jedes Foto ist es den Autoren wert, auf einer eigenen Seite in einer Qualität gedruckt zu werden, die mein ästhetisches Empfinden äußerst zufriedenstellt. Ich messe das gerne an dem Aufwand bei meinen eigenen Versuchen und Fehlversuchen, die aussagekräftigsten Fotos meiner 45-jährigen Fotoerfahrung in Fineart-Qualität in den Fotorahmen zu bringen. Hut ab.
„Lys“ ist ein wahrhaft bibliophiles Bilderbuch, dessen Magie ich mich nicht entziehen kann. Es ist mein Favorit in der Rangreihe der Fotobände über die nordische Natur. Druck, Papierqualität und Bindung sind makellos. Von den zwei verschiedenen Ausgaben habe ich mich für die signierte Special Edition entschieden, der auch einige Original-Fineart-Prints der Autoren hinzugefügt sind.
Ich wollte mich am kostbaren Licht erfreuen, denn was kann es Schöneres in der Weihnachtszeit geben? „Mögen unsere Bilder Teil ihrer Erinnerungen werden“, lautet das poetische Fazit der Autoren. Bei mir hat es schon gewirkt. Auch Sie sollten einen Blick in diesen unvergleichlichen Bildband werfen.
„Lys – An Intimate Journey tot he North“ von Sandra Bartocha & Werner Bollmann, Eigenverlag, 2020, 256 S. (deutsch / englisch), 139 Abbildungen, 65 Euro, zu bestellen über www.lys-publishing.com oder im Buchhandel (ISBN-Nr. 978-3-00-054106-3)
Leseproben
Weite Tundra
Der Polarkreis nur noch eine ferne Erinnerung im Süden, die stillen Wälder längst vergessen. Fels in flachgekrümmter Linie, wie in langen Wellen sich am Horizont verlierend. Ein Meer aus Stein, grau und schwarz und braun, in der Ferne blau. Geducktes Grün in stetem Wind, duldsam und zäh von ungezählten Lebensjahren. Schneefelder blenden weiß im Schein der Mitternachtssonne. Großer Himmel über weitem Land. (…)
Wildes Meer
Salz in der Luft. Donnernde Brandung, weiße Gicht vor schwarzem Fels. Steile Klippen über tobender See. Der Blick frei zum höchsten Norden über endloser Wasserweite. Fliehende Wolken, regenreich, hagelschwer und schneebeladen, Sendboten des Sturms, Wellenberge, bleiern grau und seltsam grün. Große Schwärme, schwarz und weiß, in hartem Klang vor dunklem Himmel, silberschuppig unberührt in flaschengrüner Tiefe.
Nachwort
Der Nordwind trägt das Lied vom Eis auf seinem Weg nach Süden, den Duft von Schnee über ein wildes Meer.
Den Klang der Stille nimmt er mit, wenn er den großen Wald durchstreift, ewiges Rauschen. Durch dunkle Fjorde führt sein Weg und über kahle Fjells, Wasser und Stein. Und am Ende seiner langen Reise bleibt nur ein Flüstern im Kornfeld, das träumend von dem Land des Lichts erzählt, weit hinter dem Horizont im Norden.
Der Rezensent
Josef Mörsch wurde 1954 in Hürth-Hermülheim geboren und wuchs in Kendenich auf. Nach seinem Zivildienst bei der Carl-Duisberg-Gesellschaft (CDG) wurde er von dieser übernommen und arbeitete fortan in der Entwicklungshilfe, leitete Projekte in Pakistan und Lateinamerika. Nachdem die CDG mit der Deutschen Stiftung für internationale Entwicklung zu INVENT mit Sitz in Bonn zusammengeführt worden war, leitete Josef Mörsch, zuletzt bis zu seiner Pensionierung im Sommer 2020, Projekt zur Erstellung bedarfsgerechter Software für die internationale Entwicklungs-Zusammenarbeit.
Bereits Anfang der achtziger Jahre zogen seine Frau und er mit iherer Tochter nach Königsdorf. Dort engagiert er sich ehrenamtlich in der Dorfgemeinschaft St. Magdalena und im Vorstand des Sportvereins TuS Blau-Weiß. Seine Frau Angela und er sind passionierte Tänzer. Er selbst ist zudem ein engagierter Fotograf und unterstützt auf diese Weise die Schreibwerkstatt „Frechener Schreibstoff“. Sein Motto: „Nicht ich suche die Motive, sondern die Motive finden mich.“