Gottgleich oder mit dem Teufel im Bunde?

Gottgleich oder mit dem Teufel im Bunde?

Science Fiction-Premiere von Rick Elfenjoch zu einem der wichtigsten Themen unserer Zeit

Von Jürgen Streich

Normalerweise begibt der Autor Jochen Frickel sich schreibenderweise in die Vergangenheit, um dort Kriminalfälle zu lösen („Die Kraft des Stromes“, „Villa Clementine“, „Das Wettrennen der Fichtenstämme“). Nun hat er sich unter dem Pseudonym Rick Elfenjoch in die nähere Zukunft, ins Jahr 2039, gewagt. Und siehe da, er bewegt sich auch auf futuristischem Terrain sicher.

Das kann man von seinem namenlosen Hauptprotagonisten nicht behaupten. Der wacht eines Morgens auf uns stellt peu à peu fest, dass seine Haustechnik kaum funktioniert. Nicht einmal seine Frühstücksbox ist wie üblich nachts von der Firma AKEDE Food Supply automatisch aufgefüllt worden.

Kommunikationstechnisch ist er von der Außenwelt abgeschnitten. Er hofft, den Ausfall all der Funktionen vom Büro aus klären zu können und macht sich auf dem Weg. Als er sich unterwegs etwas zu essen kaufen will, erhält er im Geschäft keinen Zugang zu dem Angebot, auch vom öffentlichen Taxi- und Shuttle Service wird er abgewiesen. Nachdem er daraufhin zu seiner Arbeitsstelle gejoggt ist, findet er auch dort keinen Zugang. Als er sich vergegenwärtigt, dass er von nahezu allem abgeschnitten ist, dämmert es ihm: Er ist vom weltweiten GRID-Identifikationssystem ausgeschlossen worden.

GRID – Global Repository of IDentities – bedeutet anno 2039 quasi quasi den Zugang zu Welt. Mit dem winzigen implantierten Chip, der nur mit der passenden DNA funktioniert, öffnen sich durch bloßes Handauflegen auf die überall vorhandenen Lesegeräte im wahrsten Sinne Türen, sofern man befugt ist. Man weist sich damit aus, bestellt und zahlt auf diese Weise. Ohne GRID ist man nichts. NIHIL, wie einem bei erfolglosen Versuchen an Lesegeräten auf den Displays entgegenprangt. Man würde verhungern. Kein Wunder also, dass der Protagonist im Polizeiverzeichnis als kürzlich verstorben registriert ist und er sich wie ein Zombie fühlt.

Doch auch in dieser durchdigitalisierten Gesellschaft gibt es Randgruppen, die sich dem GRID-System verweigern. Teils, weil sie schon immer gegen den Überwachungsstaat waren, oder mit der hochtechnisierten Welt nicht mehr zurechtkommen, teils, um im Schutz der Anonymität dunklen Geschäften am Rande oder mitten in der organisierten Kriminalität nachzugehen. In der Schlange an einer Suppenküche trifft der Protagonist auf Drogendealer und von der Gesellschaft Ausgeschlossene, die in ihm nichts als einen Nahrungskonkurrenten sehen.

Inzwischen hat der unfreiwillige Nihilist mitbekommen, dass er nicht der einzige durch den plötzlichen GRID-Shutdown zur Unperson erklärte Bürger ist. Allein in seiner Stadt, rechnet er hoch, müsse es circa zweitausend Betroffene geben. Tatsächlich kommt es zu Demonstrationen und Ausschreitungen, derweil der Innenminister verspricht, die schlimmste Not zu lindern und die Lage bald weder zu normalisieren. Doch gleichzeitig bringt der Hunger den Protagonisten soweit, dass er die von einer Familie in einem Gartenrestaurant hinterlassenen Essensreste in sich hineinstopft und einem kleinen Jungen eine halbvolle Tüte Popcorn abschwatzt.

In dieser aussichtslosen Lage rettet ein Gutschein aus analogeren Zeiten, ausgestellt von der Firma seines inzwischen wirtschaftlich höchst erfolgreichen ehemaligen Freundes seine Ernährungslage zumindest für einige Tage. Mit einem alten, wiederhergerichteten herrenlosen Fahrrad hat er sich inzwischen eine gewisse Mobilität verschafft und beschließt, seinen alten Freund auf gut Glück zu besuchen, um ihn zu treffen oder ihm zumindest eine Nachricht zu hinterlassen. Doch er wird, weit draußen vor der Stadt in einem inmitten einer landschaftlichen Idylle gelegenen schlossähnlichen Prachtbau, von diesem empfangen.

Dort erfährt er Ungeheuerliches. Sein ehemaliger Schulfreund, der sich aufgrund eines „erfolgreichen“ Testlaufs eines Programmes als Berater eines weltumspannenden Firmenkonglomerates qualifiziert hat, hegt auf der Basis des umfassenden Wissens dieser Firmen über nahezu jede Person in der zivilisierten Welt einen irrsinnigen Plan zur Rettung der Menschheit vor sich selbst.

Rick Elfenjoch alias Jochen Frickel ist mit NIHIL ein sehr gut lesbares Buch zu einer Problematik, in die zumindest Teile der Weltgesellschaft sich längst begeben haben, gelungen. Dabei spielt zwar die Künstliche Intelligenz für den Geschmack des Rezensenten in Elfenjochs Geschichte eine noch etwas zu untergeordnete Rolle, ist manches im Jahr 2039 noch mehr in der heutigen teilanalogen Welt angelegt, als es dann voraussichtlich der Fall sein wird. Doch das tut der Kernaussage von NIHIL keinen Abbruch, nämlich dass längt Milliarden von Menschheit bereit sind, zugunsten vermeintlicher Annehmlichkeiten ihre vollumfängliche Identität inklusive ihrer Geschichten und Pläne an den anonymen Datenspeichern gewinnorientierter und machtversessener Unternehmen und deren Lenkern anzuvertrauen, sodass sie letztlich die Hoheit über ihr eigenes Leben verlieren. Un dass die Technik oder entsprechend autoritäre Regime ihnen gar keine andere Wahl lassen. Das alles auf die Gefahr hin, dass in ihrer scheinbaren Machtvollkommenheit übermütig gewordene und sich teils als gottgleich gerierende Herrscher über die immer monopolistischer werdenden Imperien zu wissen glauben, was gut und was schlecht für die Menschheit ist. Und in ihrem Irrsinn in ihrer Gedankenwelt längst mit dem Teufel im Bunde sind.

Rick Elfenjoch alias Jochen Frickel.

Rick Elfenjoch, NIHIL – Eine Science Fiction-Erzählung

erschienen im Roland Reischl Verlag, Köln, Softcover, 128 Seiten, 10 Euro

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